Obduktion
Versicherung gedeckt wird. Nach Ihrem Arbeitsvertrag steht das OCME für Ihr Fehlverhalten gerade, es sei denn, Ihr Fehlverhalten schließt kriminelles Handeln ein oder beruht auf böswilligem Vorsatz, also wenn Sie etwas absichtlich getan haben und nicht nur aus Versehen.«
»Ich bin nicht in die Praxis des Chiropraktikers gegangen, um irgendjemanden zu verletzen, wenn es das ist, was Sie meinen«, erwiderte Jack zerknirscht. Er hatte den Eindruck, dass die Situation außer Kontrolle geriet.
»Das ist beruhigend«, antwortete Bingham. »Wir müssen uns festlegen, ob wir Sie verteidigen wollen oder nicht. Das hängt natürlich davon ab, ob unsere Versicherung auch bei einem Urteil gegen Sie einspringt. Falls sie das nicht tut, werden Sie sich selbst verteidigen müssen, und ich befürchte, das könnte teuer werden.«
»Meine Motive waren mit Sicherheit nicht bösartig«, sagte Jack, dem bei der Aussicht, sich selbst verteidigen zu müssen, das Herz bis zum Hals schlug. Mit Laurie im Mutterschaftsurlaub und den Zusatzkosten für JJs Krankheit hatte er kein Geld für einen Rechtsanwalt übrig. »Mein einziger Vorsatz, mit dem ich zu der Praxis des Chiropraktikers gegangen bin, war herauszufinden, ob meine Patientin bei ihm in Behandlung war und ob er ihre Halswirbelsäule bearbeitet hat oder nicht.«
»Was war noch mal die Todesursache?«, fragte Bingham.
»Bilaterale Vertebralisdissektion«, antwortete Jack.
»Was Sie nicht sagen«, erwiderte Bingham, als höre er das Wort zum ersten Mal. Sofort wurden seine Augen glasig. Es war ein körperlicher Reflex, der jedes Mal ablief, wenn er in seiner Erinnerung die Tausende von rechtsmedizinischen Fällen durchging, mit denen er im Verlauf seiner langen Karriere zu tun gehabt hatte.
Obwohl es Bingham manchmal Probleme machte, sich an gerade erst Geschehenes zu erinnern, wie etwa die Todesursache von Keara Abelard, die Jack nur wenige Minuten zuvor bereits erwähnt hatte, war sein Langzeitgedächtnis dagegen enzyklopädisch. Nach einer Weile blinzelte er und richtete sich wieder auf, so als sei er aus einer Trance erwacht. »Ich hatte drei Fälle von VD«, berichtete er.
»Als Folge chiropraktischer Manipulation?«, fragte Jack hoffnungsvoll. Gleichzeitig dämmerte es ihm, dass er sein Privatleben nicht mehr aus seinem Berufsleben heraushalten konnte, wenn er verhindern wollte, in unbezahlten Urlaub oder noch Schlimmeres geschickt zu werden. Es würde sich nicht vermeiden lassen, JJs Erkrankung und seine eigenen Schwierigkeiten damit einzugestehen. Wahrscheinlich würden Bingham und Calvin nur so sein unmögliches Verhalten vom Vortag entschuldigen.
»Zwei der Fälle hatten etwas mit einer chiropraktischen Betreuung zu tun«, erinnerte sich Bingham. »Der andere Fall war idiopathisch. Das heißt, wir haben die genauen Umstände nie ermitteln können. Warten Sie, das war so …« Die nächsten Minuten hörten Jack und Calvin Bingham dabei zu, wie er die Geschichte seiner drei VD-Fälle nacherzählte. Obwohl es immer wieder beeindruckend war, an wie viele Details Bingham sich noch erinnern konnte, fand Jack es im Moment — gelinde ausgedrückt — ermüdend, aber sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass er Bingham jetzt nicht unterbrechen
durfte. Nachdem er sich nunmehr entschlossen hatte, John Juniors Krebserkrankung zu offenbaren, brannte er darauf, es auch endlich zu tun und hinter sich zu bringen.
Sobald Bingham seine detaillierten Erinnerungen beendet hatte, machte sich Jack an sein Bekenntnis. »Vorhin sagte ich, dass ich nicht erklären möchte, warum mein Verhalten beim Chiropraktiker persönliche Gründe hat. Ich möchte das jetzt doch tun.«
»Ich weiß nicht, ob ich wirklich hören will, dass Sie mit der VD-Patientin persönlich bekannt waren«, knurrte Calvin.
»Nein, nein!«, versicherte Jack. Ihm war gar nicht in den Sinn gekommen, dass Calvin so etwas denken könnte. »Ich habe absolut keine persönliche Verbindung zu der Patientin. Ich habe sie zuvor weder gesehen noch gesprochen noch jemals etwas von ihr gehört. Der Ursprung dieses ganzen Durcheinanders ist mein neugeborener Sohn.«
Jack hielt einen Augenblick lang inne, um sein Statement wirken zu lassen. Er konnte sehen, wie die Züge beider Männer umgehend weicher wurden — ganz besonders bei Calvin, dessen Zorn sogleich von Besorgnis abgelöst wurde.
»Bevor ich weiterspreche, möchte ich Sie um etwas bitten«, erklärte Jack. »Ich möchte Sie bitten, dass das, was ich Ihnen
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