Obduktion
zusammenbrechen könnte. »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern wieder ein Stück näher zu
dem etwas geräumigeren Teil unter der Glasplattform gehen. Ich kann kaum atmen.«
»Tu, was du nicht lassen kannst«, sagte er vollkommen in seine Arbeit vertieft. Er war begeistert, endlich wieder Feldarchäologie zu betreiben. Er stellte den Eimer neben sich und schaltete den Bohrer ein. Dessen Gejaule war auf so engem Raum besonders laut, aber er klang vielversprechend, und Shawn begann zu bohren. Die Decke war butterweich, und binnen weniger Sekunden steckte der Bohrer bis zum Anschlag darin. Auch wenn tatsächlich etwas Sand in den Eimer rieselte, fiel ihm das meiste auf die Brust. Etwas enttäuscht, dass er nicht sofort auf Stein stieß, zog Shawn den Bohrer heraus, setzte ihn fünfzehn Zentimeter weiter links wieder an und versuchte es erneut.
Eine halbe Stunde später war die Decke voller Löcher, und er war immer noch nicht auf Stein gestoßen. Er wollte gerade zu Hammer und Meißel wechseln, als ihm etwas auffiel: Die Archäologen hatten nicht unter der Stützwand des Grabes gebuddelt, wie er vermutet hatte, sondern mussten direkt durch die Mitte gegangen sein. Als Shawn genau hinsah, konnte er die Kopfenden der Ziegelsteine vor der senkrechten Abstützung der inneren Mauer erkennen.
»Mein Gott!«, rief Shawn Sana zu. Er konnte sie nicht sehen, aber er wusste, dass sie irgendwo dort draußen unter der Glasdecke sein musste. Schließlich fragte sie ihn alle fünf Minuten, wie er vorankam. Ihrer Stimme nach zu urteilen wurde sie von Minute zu Minute nervöser, aber außer ihr den Stand der Dinge mitzuteilen, konnte er nichts für sie tun.
»Hast du es gefunden?«, reagierte sie hoffnungsvoll.
»Nein, noch nicht, aber ich habe etwas anderes entdeckt. Das Fundament des Gewölbes reicht viel weiter
hinunter. Das Ossuarium muss also auch weiter unten liegen. Wenn es noch hier ist, muss es auf der rechten Seite des Tunnels sein in Richtung der roten Wand.«
Shawn nahm den Bohrer wieder auf, drehte sich auf die linke Seite und fing an, Löcher in die rechte Wand des Tunnels zu bohren. Das erste war auf halber Höhe zwischen Boden und Decke und war genauso ein Fehlschlag wie alle anderen auch. Das zweite Loch bohrte er in der gleichen Höhe, aber etwas tiefer in den Tunnel hinein. Bereits nach etwa sieben Zentimetern stieß er auf etwas Hartes, das ihm fast den Bohrer aus der Hand schlug. Guten Mutes bohrte er ein weiteres Loch, ein paar Zentimeter über dem anderen. Ihm stockte der Atem, als der Bohrer wieder eine harte Stelle traf.
Shawn konnte seinen Puls in den Schläfen spüren. Seine Aufregung wuchs ins Unermessliche, aber zum Feiern war es noch zu früh. Stattdessen bohrte er noch etwa zwölf weitere Löcher und zeichnete damit einen rund vierzig Quadratzentimeter großen Rahmen um einen Stein, der circa sieben Zentimeter unter der Wandoberfläche verborgen war.
Er schrie nach Sana. »Gefunden! Gefunden!«
»Bist du sicher?«, rief Sana zurück.
»Ich würde sagen, zu neunzig Prozent.«
Bei solch ermutigenden Aussichten überwand Sana ihren Widerwillen und kehrte zu der Tunnelöffnung zurück. »Wo ist es?«
»Genau hier«, sagte Shawn. Er klopfte mit seinem Handrücken auf die Mitte der Tunnelwand, genau an der Stelle, wo er all die Löcher gebohrt hatte.
»Ich kann nichts erkennen«, sagte Sana enttäuscht.
»Natürlich nicht«, bellte Shawn, »ich hab ihn ja noch nicht ausgegraben. Ich hab ihn nur gefunden.«
»Warum bist du dir so sicher?«
»Pass auf, gib mir mal den Hammer und den Meißel. Ich zeig’s dir, du Ungläubige.«
Es war nicht so, dass Sana ihm nicht glaubte, aber im Gegensatz zu ihm wollte sie sich keine falschen Hoffnungen machen. Sie holte die Werkzeuge und gab sie ihm.
Shawn hämmerte auf die Tunnelwand ein. Der Aufwand war größer, als er vermutet hatte, und er musste dem Meißel viele Male einen harten Schlag mit dem Hammer versetzen, ehe er sich weit genug in die zementähnliche Wand bohrte. Der Klang, den der Hammer von sich gab, wenn er auf den harten Stahl des Meißels traf, war laut und durchdringend, fast schmerzhaft in der Enge des Tunnels. Um den Vorgang etwas zu beschleunigen, steckte Shawn den Meißel so tief wie möglich in das Loch und schlug dann seitlich darauf, um den Sand um das Loch herum zu lockern. Jeder der vielen Schläge klang wie ein Gewehrschuss, und Shawn und Sana dröhnten die Ohren. Sana hielt sich sogar die Ohren zu, weil sie das Gefühl
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