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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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nahm alle seine Aufzeichnungen und steckte sie in den großen Umschlag zurück. Statt ihn in die große Schublade zurückzulegen, öffnete er die unterste Schublade, wo schon das eingerahmte Foto von Laurie und JJ lag, und warf ihn dort hinein. Dann trat er die Schublade zu.

    Entschlossen, sich nun wieder dem Tagesgeschäft zu widmen, griff Jack nach dem Eingangskorb und wollte dessen Inhalt auf der Schreibtischunterlage ausbreiten und mit dem Sortieren beginnen. Aber seine Hand kam nicht so weit. Wieder durchschnitt das Klingeln seines Telefons die Stille des Zimmers. Das war bestimmt noch einmal Lou mit einem neuen Gedanken zur Alternativmedizin. Jack meldete sich so locker wie zuvor. Aber es war nicht Lou. Es war wahrscheinlich der letzte Mensch auf der Welt, mit dessen Anruf er jetzt gerechnet hätte.

Kapitel 16
11:30 Uhr, Freitag, 5. Dezember 2008 New York City
    D r. Jack Stapleton, nehme ich an?« Die klare, wohlklingende Tenorstimme tönte durch den Hörer wie eine frische Brise. Irgendwie kam sie Jack vertraut vor, und er forschte angestrengt in seinem Gedächtnis.
    Einen Moment lang schwieg er. Als er genau hinhörte, vernahm er ein leises Schnaufen. Jemand war noch in der Leitung, sagte aber absichtlich nichts. Fast eine halbe Minute verging, bis Jack sagte: »Das können wir jetzt noch eine Weile fortsetzen, wenn Sie sonst nichts von sich geben.«
    »Hier spricht einer deiner besten und ältesten Freunde.«
    Wieder klang die Stimme vertraut, aber Jack konnte sie noch nicht genau zuordnen. »Eigentlich müsste das leicht sein, denn viele Freunde hatte ich nie — ist es aber nicht. Gib mir noch einen Tipp.«
    »Ich war der bestaussehende, größte, intelligenteste, athletischste und beliebteste der drei Musketiere.«
    »Es geschehen noch Zeichen und Wunder!«, sagte Jack erleichtert. »James O’Rourke! Was die anderen Kleinigkeiten anbetrifft, könnte ich gnädig sein, aber in puncto Größe erhebe ich Einspruch.«
    James brach in sein vertrautes, hohes Lachen aus, das an Jacks Nervenkostüm kratzte wie Schleifpapier an seinen
Fingerspitzen — genau wie damals, als sie sich im Herbst 1973 am Amherst College kennengelernt hatten.
    »Weißt du, was ich vor mir sehe, wenn ich deine Stimme höre?«, fragte James und kicherte wieder.
    »Keine Ahnung«, antwortete Jack.
    »Ich sehe dich immer noch aus dem Laura-Scales-Haus beim Smith College herauskommen, wie du dich mit der Büste von Laura Scales abschleppst … und dein Gesicht war so rot, wie meins es gewesen wäre. Herrlich!«
    »Das war nur, weil Molly mich versetzt hatte«, entgegnete Jack schnell zu seiner Verteidigung.
    »Ich erinnere mich«, sagte James. »Und du hast es am helllichten Tag getan.«
    »Ich habe sie einen Monat später mit viel Tamtam wieder zurückgebracht«, ergänzte Jack. »Es ist niemandem etwas passiert.«
    »Ich weiß. Ich war dabei.«
    »Und du hast es gerade nötig, mit Steinen zu werfen«, sagte Jack. »Ich weiß noch, die Nacht, als du den Klubsessel aus dem Dickinson-Haus beim Mount Holyoke College herausgetragen hast, weil du so genervt warst von dieser … wie hieß sie noch?«
    »Virginia Sorenson. Die schöne, süße Virginia Sorenson. Was für eine Puppe!«, erinnerte sich James mit einem Hauch Nostalgie.
    »Hast du mal was von ihr gehört, seit …?«
    »Seit ich ins Seminar ging?«
    »Genau!«
    »Nein. Habe ich nicht. Sie war zwar süß, aber nicht sehr einsichtig.«
    »Aber ich kann sie verstehen. Wenn man bedenkt, wie nahe ihr euch gewesen seid.«
    James räusperte sich. »Diese schwere Entscheidung treffen zu müssen, bot gleichermaßen Grund zu Schmerz
und Seligkeit. Darüber würde ich mich lieber bei einem Glas Wein am knisternden Kaminfeuer mit dir unterhalten. Ich besitze eine Hütte an einem See im Norden New Jerseys. Ich würde mich freuen, wenn du mich mit deiner Frau mal für ein Wochenende besuchen kämest.«
    »Das könnte klappen«, antwortete Jack vage. Die Einladung kam etwas überraschend, nachdem er von James seit ihrem Collegeabschluss 1977 keinen Mucks mehr gehört hatte. Natürlich trug auch Jack Schuld daran, weil auch er seitdem nicht mehr versucht hatte, James zu kontaktieren. Obwohl sie gute Freunde gewesen waren, hatten sich ihre Interessen nach dem Abschluss vollkommen auseinanderentwickelt. Beim letzten der drei Musketiere war es anders gewesen. Shawn Daughtrys Betätigung auf dem Gebiet der Archäologie des Nahen Ostens hatte Jack fasziniert, und sie hatten einen recht guten Draht

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