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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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grauem Stein. Die Fenster der unteren Stockwerke waren hinter schweren Eisengittern verborgen. Einziges Lebenszeichen war ein Hauch von Brüsseler Spitze hinter einigen der vergitterten Fenster, die hier ziemlich fehl am Platz wirkte.
    Nachdem er Rad und Helm angeschlossen hatte, erklomm Jack die Treppen aus Granit und zog an der Schnur der glänzenden Messingklingel. Lange brauchte
er nicht zu warten. Die Türschließe klickte, die Tür schwang nach innen, und ein großer, rothaariger Priester kam zum Vorschein, dessen auffälligstes Kennzeichen seine axtförmige Nase war. Gekleidet war er in ein schwarzes Priestergewand mit dem altmodischen, gestärkten Kragen der Kirchenleute.
    »Dr. Stapleton?«, fragte der Priester.
    »In der Tat«, antwortete Jack unbeeindruckt.
    »Ich bin Pater Maloney«, erwiderte der Priester und trat zur Seite.
    Jack ging hinein. Das Interieur war ein wenig einschüchternd. Pater Maloney schloss die Tür hinter ihm und sagte: »Ich bringe Sie ins Arbeitszimmer Seiner Eminenz. « Er eilte davon, was Jack dazu zwang, ein paar Schritte zu laufen, um Schritt halten zu können.
    Die Geräusche der geschäftigen Madison Avenue waren hinter der schweren Eingangstür zurückgeblieben. Das Einzige, was Jack außer dem Ticken der Standuhr hören konnte, waren ihre Schritte auf dem glänzend polierten Eichenboden.
    Pater Maloney blieb vor einer verschlossenen Zimmertür stehen. Als Jack nachgekommen war, trat er zur Seite und ließ Jack eintreten.
    »Seine Eminenz wird gleich bei Ihnen sein«, sagte er, verließ den Raum und schloss leise die Tür hinter sich.
    Jack schaute sich in dem spartanisch eingerichteten Zimmer um, das nach Bohnerwachs und Reinigungsmitteln roch. Außer dem Kruzifix an der Wand über einem antiken Betstuhl hingen an den Wänden nur ein paar gerahmte offizielle Fotos des Papstes. Außer dem Betstuhl gab es in dem Raum nur eine kleine Ledercouch, einen passenden Ledersessel, einen Beistelltisch mit einer Lampe und schließlich einen kleinen Schreibtisch mit einem hochlehnigen Holzstuhl davor.

    Jack ging mit laut klackenden Ledersohlen über den glänzenden Holzboden. Er setzte sich gerade auf die Sofakante, ohne sich anzulehnen, und fühlte sich absolut fehl am Platz. Er war nie religiös gewesen, und auch seine Lehrer in der Schule hatten keinem Glauben angehört. Als er erwachsen wurde und darüber nachdenken musste, hatte er beschlossen, Agnostiker zu sein — zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als die Tragödie seine Familie auslöschte. Danach hatte sich Jack die beruhigende Vorstellung, dass es einen Gott geben könnte, vollends aus dem Kopf geschlagen. Er glaubte nicht, dass ein liebender Gott seine geliebte Frau und seine süßen Töchter auf eine solche Weise fortgerissen hätte.
    Plötzlich flog die Tür auf. Da Jack ohnehin nur auf der Kante saß, sprang er gleich auf die Füße. Herein trat Seine Eminenz Kardinal James O’Rourke in vollem Ornat. Einen Moment lang betrachteten die Männer einander, und angenehme Erinnerungen stiegen in ihnen auf. Obwohl Jack im Gesicht des Kardinals seinen alten Freund wiedererkannte, überraschte ihn der Rest seiner Erscheinung. Jack konnte sich nicht daran erinnern, dass er so schmal gewesen war, wie er jetzt wirkte. Sein Haar war kürzer und nicht mehr leuchtend rot. Aber am meisten hatte sich natürlich die Kleidung verändert. James erinnerte Jack an einen Prinzen aus der Renaissance. Über schwarzen Hosen und weißem Kragen trug er eine schwarze Soutane mit roter Paspelierung und Knöpfen und darüber einen scharlachroten Umhang. Auf seinem Kopf saß ein rotes Scheitelkäppchen, der Pileolus. Um die Hüfte war eine breite, scharlachrote Schärpe geschlungen und am Hals hing ein juwelenbesetztes, silbernes Kreuz.
    Die beiden Männer schlossen einander in die Arme und blieben einen Moment so stehen, ehe sie wieder einen Schritt zurücktraten.

    »Du siehst großartig aus!«, sagte James. »Du siehst aus, als ob du sofort einen Marathon laufen könntest. Ich glaube, ich könnte im Zweifelsfall noch nicht einmal so weit laufen, wie die Kathedrale lang ist.«
    »Du übertreibst«, sagte Jack und schaute in James’ sanftes Gesicht mit den weichen, geröteten, sommersprossenbedeckten Wangen und den angenehm gerundeten Gesichtszügen. Seine leuchtenden, eisblauen Augen sprachen eine andere Sprache und stimmten eher mit dem Bild überein, das Jack von seinem alten Freund hatte, der jetzt ein mächtiger und ehrgeiziger Prälat war. Die

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