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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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zueinander, bis Jacks erste Frau und die Kinder starben. Danach hatte Jack mit niemandem mehr Kontakt gehalten, nicht einmal mit seiner Familie.
    Als ob er seine Gedanken erraten könnte, bemerkte James: »Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe, als du in die Stadt gezogen bist. Ich habe gehört, dass du hier bist und am OCME arbeitest. Ich wollte dich immer mal anrufen, um mich mit dir zu treffen und über alte Zeiten zu lachen. Solange man aufs College geht, scheint niemand zu begreifen, was das für eine wunderbare Erfahrung ist. Während man dabei ist, wirkt alles so hektisch, mit den gigantischen Hausarbeiten oder wenn man fürs Examen büffelt. Und wenn dir einer erzählen will, wie toll die Collegezeit ist, solange du noch dort bist, denkst du nur: ›Ja, klar. Wenn das schon die beste Zeit ist, dann gute Nacht!‹«
    Jetzt war es an Jack, zu kichern. »Du hast vollkommen recht. Es ist das gleiche mit dem Medizinstudium. Ich
weiß noch, wie mir unser alter Hausarzt erzählt hat, dass die Zeit an der Medizinischen Hochschule die schönste Zeit meiner beruflichen Karriere werden würde. Damals dachte ich, er spinnt, aber es stellte sich heraus, dass er recht hatte.«
    In ihrem Gespräch entstand eine kleine Pause, in der die beiden Studienfreunde stumm ihren Erinnerungen nachhingen. Mit plötzlich verändertem Tonfall und wie ausgewechselt brach James das Schweigen. »Ich vermute mal, dass du wissen möchtest, warum ich dich auf einmal einfach so aus heiterem Himmel angerufen habe.«
    »So was kam mir in den Sinn«, gab Jack zu und versuchte, dabei ganz entspannt zu klingen. James’ Stimme hatte sich entschieden verdüstert und er klang todernst.
    »Es ist einfach so, dass ich dringend deine Hilfe brauche und darum bete, dass du bereit bist, sie mir zu gewähren. «
    »Ich höre dir zu«, sagte Jack vorsichtig. Es war schon vorgekommen, dass es seine alten Wunden wieder aufgerissen hatte, wenn er sich die Probleme anderer anhörte. Das wollte er vermeiden, aber trotzdem konnte er seine Neugierde nicht bezwingen. Wie sollte ausgerechnet er, der abgebrühte Atheist, dem Erzbischof von New York helfen können — der wahrscheinlich zu den mächtigsten Männern der Welt gehörte.
    »Es geht um unseren gemeinsamen Freund Shawn Daughtry«, verkündete James.
    »Habt ihr wieder Karten gespielt?«, versuchte Jack zu scherzen. Damals im College hatten James und Shawn mindestens einmal pro Woche miteinander gepokert und sich hitzige Debatten darüber geliefert, wie viel einer dem anderen schuldete. Mehrmals musste Jack dazwischengehen und dafür sorgen, dass die beiden wieder miteinander sprachen.

    »Diese Sache ist von außergewöhnlicher Wichtigkeit«, sagte James, »und ich würde es begrüßen, wenn du darüber keine Witze machst.«
    »Verzeiht mir, Vater«, antwortete Jack, dem klar wurde, dass es James wirklich todernst war. Und mit einem neuerlichen Versuch, den unerwartet schweren Unterton ihres Gespräches aufzulockern, fügte Jack hinzu: »Soll ich Sie Vater nennen, Vater?«
    »Mein Titel ist Eure Eminenz«, sagte James, der sich ein wenig entspannte. »Aber du kannst James zu mir sagen — was ich in deinem Fall ganz entschieden bevorzugen würde.«
    »Da bin ich froh«, antwortete Jack. »Wenn man dich vom College kennt wie ich, dann ist es schwer, dich Eure Eminenz zu nennen. Das klingt, als ob du einen auf dicke Hose machen würdest.«
    »Du hast dich wohl überhaupt nicht verändert, oder?«, entgegnete James noch ein bisschen entspannter.
    »Leider doch. Ja, ich habe mich verändert. Ich fühle mich, als lebte ich ein zweites Leben, das mit dem ersten nichts mehr zu tun hat. Aber ich will das nicht vertiefen, zumindest nicht jetzt. Wenn du noch einmal dreißig Jahre bis zum nächsten Anruf wartest, dann kann ich drüber reden.«
    »Ist es wirklich schon so lange her?«, fragte James mit leichtem Bedauern.
    »Es sind einunddreißig Jahre, um genau zu sein. Ich habe abgerundet. Aber es ist nicht allein deine Schuld. Ich hätte mich ja auch melden können.«
    »Nun, da sollte man Abhilfe schaffen. Schließlich leben und arbeiten wir in derselben Stadt.«
    »So sieht’s aus«, sagte Jack. Er gehörte zu den Menschen, die spontanen sozialen Verbindlichkeiten aus dem Weg gingen.

    Wenn man in Betracht zog, wie lange es her war und wie weit sich ihre Berufswege voneinander entfernt hatten, dann fragte er sich, ob er wirklich eine Beziehung aufwärmen wollte, die aus einem

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