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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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ich mir nicht langsam mal eine Frau suchen wolle. Ich schloß daraus, daß sie in diesem Punkt einer Meinung mit ihm war.

    Nach ihrem Tod hatte ich niemanden mehr zum Anblicken, zum Mit blicken, das war das Schlimmste für mich. Das Bündnis war einseitig gelöst worden. Ich konnte – und kann – Vater kaum in die Augen schauen. In Mutters Augen hatte ich immer Henks Schatten gesehen, und ich hatte angenommen, daß sie in meinenAugen dasselbe sah. (In mir als ganzer Person sah sie natürlich auch Henk, in meinen Augen sah sie ihn doppelt.) In Vaters Augen las ich nichts, nach Mutters Tod fehlte sogar ihr Schatten.
20
    Für Riet mache ich eine Ausnahme: Ich fahre nach Süden. Südwesten, um genau zu sein. Zur Fähre in Amsterdam-Noord. Wir haben eine Zeit ausgemacht, und schon lange vor dieser Zeit warte ich im Wagen vor einer Frittenbude direkt am IJ. Futuristische Fähren gleiten hin und her, strenglinige blauweiße Butterdosen ohne die geringste Ähnlichkeit mit den hellgrünen Booten von 1967. Damals wurden auch noch Autos übergesetzt, die Fähren waren schwimmende Autobahnen. Ich sehe die Aufschrift »Gemeentepont N° 15« vor mir, und die schmalen überdachten Rad- und Mopedstreifen. Hellgrün waren sie nur innen, außen schmutzigweiß. Das hatte ich vergessen.
    In Gedanken versuche ich weiterzugehen, in die Stadt. Aber Gesichter oder Namen von Kommilitonen kommen nicht an die Oberfläche; nicht einmal das Gebäude, in dem ich meine Lehrveranstaltungen hatte, kann ich mir vorstellen. Alles da drüben auf der anderen Seite des Wassers ist weg.
    Ich habe ihr den Opel Kadett beschrieben, aber seit ich hier bin und die Ströme von Fußgängern und Radfahrern sehe, werde ich immer unruhiger. Wer wird wen entdecken? Bleibe ich im Wagen sitzen, oder stelle ich mich besser daneben?Als ich heute morgen mit Vater auf den Armen mitten auf dem Hof stand und er mich lippenzitternd und zähneklappernd fragte, wo ich ihn hinbrächte, beschloß ich, ihn wieder in sein Schlafzimmer zurückzutragen. Ich hatte ihn auf den Heuboden über dem Jungviehstall legen wollen. Seine Frage und die neugierigen Blicke der Esel reichten, um mich davon abzubringen (einer der Esel stimmte ein lautes Geschrei an, das wiederum die Hühner aus ihrem Vormittagsschläfchen riß). Wie hätte ich ihn auch die Leiter hinaufbefördern sollen? Der Rückzug verlief ohne Probleme, alle Türen standen noch offen. Ich legte ihn ins Bett, das noch warm war, und wollte wortlos das Zimmer verlassen. An der Tür überlegte ich es mir anders.
    »Gleich hole ich Riet ab«, sagte ich.
    Er schaute mich ausdruckslos an.
    »Von der Fähre in Amsterdam. Sie kommt zu Besuch.«
    »Riet?« Er klang heiser, als er den Namen aussprach, und wurde ein bißchen blaß.
    »Ja, Riet. Und du bist tot.«
    »Tot?«
    »Ich hab ihr gesagt, daß du tot bist.«
    »Warum?«
    Jetzt versuchte ich ihn ausdruckslos anzuschauen. »Kannst du dir die Frage nicht selbst beantworten?«
    Er dachte nach.
    »An deiner Stelle würde ich mich ruhig verhalten«, sagte ich drohend. »Sonst könnte es passieren, daß sie raufkommt.«
    »Warum?«
    »Um mit dir abzurechnen.«
    »Na . . .«
    »Und du bist nicht mehr ganz klar, erinnerst du dich?«
    »Na . . .«
    »Ich bin jetzt weg.«
    Que sera, sera , würde Doris Day sagen, dachte ich auf der Treppe. Whatever will be, will be.
    Ich bin alt, dachte ich auf dem Weg durch die Waschküche.

    Alle sechs Minuten trifft eine Fähre ein, fünf waren es schon, seit ich hier sitze. Ziemlich viele Frauen in den Fünfzigern kommen von der Anlegestelle; zum Glück kann ich die mit Fahrrad ausschließen. Sie haben alle dicke Mäntel an und Schals um. Einen Winter wie diesen habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr erlebt, es friert wieder, wir haben sogar etwas Schnee. Die sechste Fähre nähert sich. Ich schaue auf die Uhr, dies wird die Fähre sein, die sie bei mir abliefert. Wo fahren all diese Leute bloß hin, an einem normalen Werktag? Riet ist unter den letzten, die das Boot verlassen. Mir wird ein bißchen schwindlig, ich hatte eine Frau erwartet, die Ada ähneln würde (warum, ist mir schleierhaft), aber es ist Riet, wie sie vor dreieinhalb Jahrzehnten auf ihrem Fahrrad davonfuhr. Nur ohne die langen blonden Haare, etwas dicker und mit verändertem Gang. Ich sitze stocksteif hinter dem Lenkrad, das ich unwillkürlich umklammert habe, mit beiden Händen. Sie kommt geradewegs auf den Wagen zu, etwas in mir möchte sich seitwärts fallen lassen, unter das

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