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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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bei diesem ersten Mal nahm Henk sie zur Bosman-Mühle mit, zu unserer DMühle. Sie kamen mit einem Kiebitzei zurück, und mein Verhältnis zu Riet war danach nie ganz ungetrübt.
    Schlimmer war, daß auch mein Verhältnis zu Henk nie mehr ungetrübt war.

    Einige Zeit später sollte Riet zum ersten Mal bei uns übernachten; das wird irgendwann im August gewesen sein.
    »Böckchen und Zicklein getrennt«, sagte Mutter eines Abends am Küchentisch. Am Abend vor Riets Ankunft.
    »Hm?« machte Henk.
    »Böckchen und Zicklein getrennt.«
    Henk mußte erst kurz überlegen. »Ihr seid doch auch ein Böckchen und ein Zicklein?« sagte er dann so harmlos wie möglich, mit einer Handbewegung Richtung Vater.
    Vater schnauzte ihn an.
    Riet schlief in Henks Zimmer, Henk schlief bei mir.Auf einer Matratze auf dem Boden. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, ich atmete mühsam, was ich der drückenden Hitze zuschrieb. Das Fenster stand weit offen, die Vorhänge waren nicht zugezogen, das Licht des Vollmonds fiel ungehindert ins Zimmer. Henk war nur halb mit einem Laken zugedeckt, sein Oberkörper bläulich entblößt. Er war schön, so schön. Nach langem Schweigen, fast so drückend wie die Schwüle, flüsterte er etwas, das ich nicht verstand.
    »Was?«
    »Leise!«
    »Was hast du gesagt?« flüsterte ich.
    »Ich geh nach nebenan.«
    »Zu Riet?« fragte ich matt.
    »Zu wem sonst?« Er richtete sich langsam auf und streifte das Laken ab. Dann zog er die Knie an, stand auf, ging wie auf Eiern zur Tür und öffnete sie Zentimeter für Zentimeter. Es dauerte sehr lange, bis sein nur mit einer großen weißen Unterhose bekleideter Körper aus meinem Zimmer geschlüpft und die Tür wieder geschlossen war.
    Seit dieser Nacht hasse ich Mondnächte. Das bläuliche Licht, das auch durch Vorhänge oder Jalousien ins Zimmer dringt, das man einfach nicht aussperren kann, ist immer kalt, auch im Sommer.
    Nein, lieber sind mir die Bläßhühner, die höre ich gerne nachts. Ihr Gekläff vertreibt die Leere, und im nächsten Jahr werden sie wieder kläffen, wenn auch nicht dieselben natürlich, und in zehn Jahren immer noch. Bläßhühner werden immer dasein.
21
    Riet sitzt am Küchentisch, auf Henks altem Platz. An ihrem Gesicht ist nicht abzulesen, ob sie sich bewußt dort hingesetzt hat. Sie starrt ein Foto auf der Titelseite der Zeitung an; es zeigt eine Gruppe Koniks auf einem von Waalwasser umgebenen Streifen Land. Hier friert es, dort regnet es, überall werden Kais und Deichvorland überschwemmt.
    »Polnische Pferde«, sagt sie, mehr zu der Zeitung als zu mir.
    »Kaffee?« frage ich.
    Erst jetzt hebt sie den Blick. »Ja, bitte.«
    Die Sonne scheint, eine tiefstehende Sonne, kalt trotz ihres warmen Gelbtons. Ich bin nie in Österreich oder der Schweiz gewesen, aber so stelle ich mir die Skiurlaubssonne vor. Die Kaffeemaschine steht voll im Licht, und mir fällt auf, daß ich sie mal wieder mit einem feuchten Lappen abwischen könnte. Ich lasse mir Zeit; solange ich Riet den Rücken zuwende, ist es egal, was für ein Gesicht ich mache. Aus den Augenwinkeln sehe ich etwas am Vorderfenster vorbeihuschen.
    »Eine Nebelkrähe!« ruft Riet.
    Ich drehe mich um. Sie ist zurückgekommen. Sie sitzt auf ihrem alten Platz in der Esche und ordnet ihr Gefieder. Ich sehe meine Knöchel am Henkel der Kaffeekanne weiß werden. Das ist der Augenblick für Lautäußerungen von oben. Es bleibt still.
    »Hast du schon mal eine Nebelkrähe gesehen?« frage ich, während ich die Kanne mit mehr Lärm als nötig unter den Filter schiebe.
    »O ja, ziemlich oft. In Dänemark. Da sieht man fast nur Nebelkrähen.«
    »Du warst mal in Dänemark?«
    »Dreimal, glaube ich. Im Urlaub.« Sie denkt nach. »Nein, viermal.«
    »Wie ist es da?«
    »Wie es ist, weiß ich nicht. Nur wie es war. Wir waren vor etwa acht Jahren zum letzten Mal da. Ohne die Mädchen, die machten damals schon längst alleine Urlaub. Wir waren zu dritt.«
    Ich setze mich, verschränke die Arme und warte ruhig ab, was kommt.
    Riet schaut nach draußen. »Erinnerst du dich noch an die hölzernen Strommasten hier?«
    »Ja, natürlich.« Ärger kribbelt auf meinen Unterarmen.
    »Solche Masten gibt’s da immer noch, nur aus Beton. In diesen Dingen sind sie ein bißchen rückständig.« Sie starrt aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. Die Kaffeemaschine gurgelt und spuckt. »Wir waren im August da, mit dem Auto. Bauern verbrannten Stroh, und auf den Stromdrähten saßen Schwalben.«
    »Schwalben.«
    »Ja.

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