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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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ist, bevor ich in die Milchkammer gehe und anfange, den Milchtank auszuspülen. Das heiße Wasser treibt den kalten Nebel ins Freie.

    Nach dem Melken ziehe ich im Gemüsegarten ein paar Köpfe Grünkohl aus der Erde. Sie haben mehr als genug Frost gehabt. Ich richte mich
     auf und schaue bei mir selbst zum Küchenfenster hinein. Die Lampen in der Küche und im Wohnzimmer sind an. Ganz weit hinten – ich kann es sehen, weil
     alle Türen offen sind – steht das neue Bett wie ein Thron in einem Saal. Morgen ist Weihnachten, und in sieben Tagen beginnt das neue Jahr.

II

18
    »Schweinebauern gibt es nicht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Schweine mäster , ja, aber das sind keine Bauern.«
    »Wieso nicht?«
    »Hatte dein Mann Land?«
    »Ja.«
    »Wieviel Hektar?«
    »Ein Stück zwischen den Ställen und daneben.«
    »Genau das meine ich. Ein Bauer hat Land, und er macht etwas aus diesem Land. Schweinemäster mästen Schweine, in großen Ställen, bis sie schlachtreif sind, und das hat nichts mit dem zu tun, was ein Bauer macht . . .«
    »Auf dem einen hing die Wäscheleine und auf einem anderen war die Maismiete.«
    »… das hat nur was mit Geldverdienen zu tun.« Ich stehe im Flur und schaue durchs Küchenfenster nach draußen. Es regnet. Das unbeständige Tauwetter ist endlich in richtiges Tauwetter übergegangen, und die Gräben, die noch nicht ganz eisfrei sind, dampfen jetzt. Seltsamerweise hat es heute nacht wieder etwas gefroren, nachdem es gestern den ganzen Tag sonnig war. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was Riet gerade sieht. Dieses Telefongespräch verläuft nicht ganz so, wie es sollte. Riet (die sich mit dem Namen ihres verstorbenen Mannes meldete) ließ das Wort Schweinebauern fallen, und ich konnte mir nicht verkneifen, etwas dazu zu sagen. Am liebsten würde ich auflegen.
    »Komm, Helmer, laß uns von was anderem reden.«
    »Ja«, sage ich.
    »Darf ich mal kommen?«
    »Deshalb rufe ich an.«
    »Wie … Ist dein Vater. . .«
    »Tot.« Mir wird schon irgendeine Lösung einfallen.
    »Ach«, sagt Riet, als ob es ihr plötzlich leid täte.
    »Schon gut.«
    Einen Augenblick bleibt es still, irgendwo dort unten in Brabant. »Hattest du ein schönes Weihnachtsfest?«
    »Doch, ja.«
    »Und letzte Nacht?«
    »Ich hab ein Neujahrsfeuer gemacht.«
    »Wie früher!«
    »Ja. Die beiden kleinen Söhne von meinen Nachbarn sind gekommen, die wollten zusehen. Und helfen natürlich.«
    »Schön.«
    »Ja. Nur hat der jüngere, Ronald, sich ein bißchen die Hand verbrannt.«
    »Ach . . .«
    »Nicht schlimm. Er mußte selbst lachen, und er fand sich auch tapfer. Zum Glück war seine Mutter dabei.«
    »Wann soll ich kommen? Ich kann jederzeit.«

    Ich kann jederzeit. Mein halbes Leben lang habe ich an nichts gedacht. Ich habe mich unter die Kühe gebückt, jeden Tag wieder. Manchmal könnte ich sie verfluchen, die Kühe. Andererseits, ihre Wärme und Ruhe, wenn man sich mit der Stirn auf ihre Flanken stützt und ihnen das Melkzeug anhängt – das hat auch etwas. Nichts wirkt so beruhigend, so friedlich wie ein Stall voll gleichmäßig atmender Kühe an einem Winterabend. Kühe, tagaus, tagein, Sommer, Herbst, Winter, Frühling.
    Riet sagt »ich kann jederzeit«, und diese drei Wörter entziehen allem den Boden. Ich sehe die Leere ihresDaseins vor mir, und mit ihrer Leere sehe ich meine.
    Wenn ich die Kühe verfluchen möchte, meine ich natürlich Vater, die Kühe trifft keine Schuld, die jetzigen schon gar nicht.
    »Helmer?«
    »Ja«, sage ich. »Ich bin noch da.«
    »Wann soll ich kommen?«
    »Wann du möchtest.«

    An diesem Nachmittag sitze ich lange bei den Eseln, ich habe ihnen eine zerschnittene Futterrübe gegeben. Es regnet nicht mehr, aber es ist immer noch grau. Das Licht im Eselstall brennt. Ich habe ihre Stimme wiedererkannt.

    Gestern nacht, bevor ich den Scheiterhaufen mit Dieselöl übergossen habe, sind Ada, Teun, Ronald und ich auch ein Weilchen bei den Eseln geblieben. Kalte Sterne glänzten über dem Stall. Adas Mann war nicht mitgekommen, er wollte eine Kuh im Auge behalten, die kurz vor dem Kalben war. Außerdem – sagte Ada – hat er für »die Feiertage« nicht viel übrig. Ich hatte Ölkrapfen gebacken; nach Mutters Tod habe ich diese Aufgabe übernommen. Vater saß kurz auf seinem alten Platz am Küchentisch. Er hielt sich mühsam mit aufgestützten Ellbogen aufrecht und aß zwei Ölkrapfen. Ich saß auf Mutters Stuhl und sah ihm starr ins Gesicht, während Ada mit ihm sprach. Teun und Ronald

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