Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
mindestens drei ertrunkenen Eisläufern gelesen. Ich bin mit den Schlittschuhen in der Hand zum Groote Meer gegangen, nur um festzustellen, daß es zur Hälfte noch offen war. Ich habe die zugefrorene Hälfte nicht ausprobiert,es ist noch zu früh zum Aussterben. Vor zwei Tagen hatte der junge Milchfahrer ein großes rundes Pflaster auf dem linken Auge. Er hatte zu Hause renoviert und beim Abschleifen eines Fensterrahmens einen Holzsplitter ins Auge bekommen. Auch das vertrieb sein Lächeln nicht, es wirkte nur ein bißchen verzerrt. Ich verließ die Milchkammer schneller als ursprünglich beabsichtigt, weil sein Anblick mir die Kehle zuschnürte und ich fürchtete, daß man mir das anhören könnte. Gestern kam der Viehhändler. Er hat ein paar Minuten füßereibend in der Küche gestanden und ist dann wieder gefahren, weil ich nichts für ihn hatte. Der Tierarzt hat nach einer kranken Färse geschaut. Er hat zwei riesige Spritzen in eine Hinterbacke geleert und gesagt, das werde schon wieder. Ich habe die Färse von den anderen getrennt.
Schon seit ein paar Tagen sehe ich mich immer wieder in der Küche um und überlege, ob ich nicht auch hier renovieren soll. Ich sehe mich um, und dann bleibt mein Blick an der Nebelkrähe in der Esche hängen, und dann denke ich an den Knecht. »Kleiner Henk« habe ich ihn in Gedanken genannt. Riet hat angerufen und gefragt, ob ich schon nachgedacht hätte. Ja, habe ich geantwortet, aber noch nicht genug. Ich habe noch nie einen Knecht gehabt. Ich war selbst Knecht, Vaters Knecht. Hin und wieder sehe ich die Krähe wegfliegen; jedesmal gleitet sie zuerst schräg nach unten (wie um ihre Flügel zu testen), bevor sie richtig losfliegt.
Ada sitzt heute zum ersten Mal wieder in der Küche, fünf Tage nach Riets Besuch. Samstag. Teun und Ronald sind auf dem Fußballplatz, die Winterpause der Jugendmannschaften ist schon vorbei.
»Helmer! Das ist ja toll! Wie war’s?«
»Seltsam«, sage ich.
»Was ist das nun wieder für eine Antwort! Deine Schwägerin!«
»Nein, meine künftige Schwägerin.«
»Na ja.« Ada tut gerade so, als hätte Ronald ihr nichts erzählt. »Ich hab euch gesehen und noch gedacht: was für eine attraktive Frau.«
»Ja, attraktiv ist sie immer noch.«
»War dein Vater auch aufgeregt?«
»Ziemlich aufgeregt.«
»Was hat er gesagt?«
»Nicht viel.«
»Ach, was bist du maulfaul heute. Ich seh dir doch an, daß du dich gefreut hast!«
»Er hat gelacht«, sage ich. Ich schaue Ada in die Augen, und schon nach ein paar Sekunden wendet sie ihr Gesicht ab. Sie wirkt unruhiger als sonst, gehetzt.
»Wovon habt ihr denn so gesprochen?«
»Na, von früher halt, von ihrem Mann, der voriges Jahr gestorben ist, von ihren Töchtern, von Henk und wie lieb er doch gewesen ist, von den Eseln und den Hühnern.«
»Kommt sie noch mal?« Auch ihre Sprechweise ist anders, abgehackt. Ich kann fast die Ausrufezeichen sehen.
»Vielleicht, hat sie zu Ronald gesagt, bevor sie ins Auto gestiegen ist.«
Ada wird rot. Es sieht anders aus, als wenn Eile oder die Anstrengung beim Frühjahrsputz ihr die Wangen färbt. »Fein«, sagt sie.
Zwischen dem Seitenfenster und den Oberschränkchen hängt eine alte elektrische Uhr. Das Zifferblatt ist braun, der breite Rand orangefarben, die Zeiger weiß. Die Uhr summt leise, fast unhörbar. Neulich, als Riet hier war, habe ich sie auch summen hören. Ich kannmich nicht erinnern, sie vorher schon einmal gehört zu haben. Jetzt summt sie lauter als je zuvor. Vielleicht geht sie allmählich kaputt.
»Sie war nicht in eigener Sache hier«, sage ich.
»Was?«
»Als wir bei der Fähre gewartet haben, stieg sie nicht aus, sondern fing an, von ihrem Sohn zu erzählen.«
»Ihrem Sohn.«
»Ihrem Sohn, Henk. Ob der nicht zu mir kommen könnte, zum Arbeiten.«
»Warum?« Ihr Gesicht hat jetzt wieder seine normale Farbe. Die Wolken verziehen sich.
»Zu Hause tut er nichts. Er arbeitet nicht, liegt oft nur im Bett, manchmal ist er eine Weile verschwunden.«
»Warum?«
»Was weiß ich. Ob er nicht Knecht bei mir werden könnte, meinte Riet.«
»Großartig!« ruft Ada.
»Großartig?«
»Ja! Du bist hier völlig auf dich selbst gestellt, seit dein Vater krank ist.«
»Ich komme gut allein zurecht, es gäbe hier gar nichts für ihn zu tun.«
»Aber wäre es nicht schöner, jemanden zu haben? Und natürlich gäbe es was für ihn zu tun! Der Jungviehstall zum Beispiel, der könnte mal einen neuen Schutzanstrich vertragen. Ihr würdet zu zweit
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