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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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melken, in ein paar Monaten gibt’s viel Arbeit mit den Schafen . . .«
    »Ich habe zwanzig Schafe.«
    »Wenn schon. Und wenn du dem Jungen auf diese Weise hilfst … Und Riet?« Sie spricht den Namen aus, als würde sie die dazugehörige Frau schon seit Jahren kennen.
    »Hm«, sage ich.
    »Machst du’s?«
    »Ich muß noch mal drüber nachdenken.«
    »Will sie dann auch hier wohnen?« Sie gibt sich alle Mühe, die Frage gleichgültig klingen zu lassen.
    »Nein, meinst du?«
    »Das frage ich dich.«
    »Nein, ich glaube nicht, davon hat sie nichts gesagt.«
    Ada dreht sich um und schaut auf die Küchenuhr. Sie steht auf. »Ich muß die Jungs vom Fußball abholen.«
    »Ist ihr großes Vorbild schon auf und davon?«
    Sie schaut mich verständnislos an.
    »Jarno Koper? Ist er schon außer Landes?«
    »Ach so, Jarno Koper. Ja, der ist weg.«
    Ich begleite sie noch in die Waschküche.
    »Sie muß deinen Bruder sehr geliebt haben«, sagt sie, als sie die Tür zur Milchkammer öffnet.
    »Weil sie ihren Sohn Henk genannt hat.«
    »Ja.«
    »Es gibt noch andere Henks.«
    »Tschüs, Helmer. Bestellst du deinem Vater Grüße von mir?«
    »Mach ich.«
    Ich schaue ihr nach, während sie am Kühltank vorbei die Milchkammer verläßt. Ihr Rücken hat etwas Altes an sich, das mir vorher nie aufgefallen war.

    Das erste, was ich in Vaters Zimmer mache, ist, daß ich ihm Adas Grüße ausrichte. Dann fangen wir mit der großen Wäsche an. Nachdem ich ihn auf die Toilette gesetzt habe, frage ich ihn, ob er sich vor oder nach dem Duschen rasieren will. Vorher, sagt er, und er will es selbst machen. Ich hole den kleinen Spiegel von der Wand im Flur und stelle ihn so aufs Waschbecken,daß Vater sich darin sehen kann, wenn er auf dem Plastikhocker sitzt. Es dauert lange, seine Hände zittern leicht, und es fällt ihm schwer, gleichzeitig die Falten am Hals glattzuziehen und die Rasierklinge zu führen. Ich wasche ihm nicht nur den Körper, ich schäume ihm auch die Haare gründlich ein. Als er sauber ist, frage ich, ob er noch einen Moment auf dem Hocker sitzen bleiben kann. Ja, das kann er, wenn er die Hände fest auf die Knie drückt und sich an die gekachelte Wand lehnt. Ich gehe die Treppe hinauf, entferne die schmutzige Bettwäsche und beziehe alles neu. Während ich das tue, ertappe ich mich beim Pfeifen. Bevor ich wieder hinuntergehe, stelle ich mich kurz ans Fenster und schaue die Nebelkrähe an. »Ja, behalte alles im Auge«, sage ich, als sie mich bemerkt. Kurz darauf liegt Vater, mit frisch riechenden und gekämmten Haaren, wieder im Bett.
    »Ich möchte Arme Ritter essen«, sagt er.
    »Du weißt, daß du dich öfter mal umdrehen mußt?«
    »Umdrehen? Wieso das?«
    »Wenn du immer nur auf dem Rücken liegst, liegst du dich wund, und wenn das passiert, mußt du ins Krankenhaus, und wenn du da einmal bist, kommst du nicht mehr zurück.«
    »Na . . .«
    »Glaub mir.«
    »Nach Purmerend?«
    »Was ist in Purmerend?«
    »Das Krankenhaus.«
    »Wie du meinst.«
    »Unsinn«, sagt er und schließt die Augen.
    Kurz bevor ich die Tür zuziehe, höre ich die frischen Laken knistern.
25
    Merkwürdig: auf einmal so ein Aufhebens davon zu machen, daß ich der letzte van Wonderen bin. Ich erwarte bei mir keine Eigen-Fleisch-und-Blut-Gefühle; ohne Frau, ohne Kinder und mit einem verbrauchten Vater, der meines Wissens nie ein Wort über die Familie verloren hat. Ist es der Hof? Unser Hof, mit allem, was dazugehört, Gebäuden, Tieren, Land – etwas, das ich nicht hatte haben wollen, das mir aufgezwungen wurde, mit dem ich dann vielleicht aber im Lauf der Zeit doch verwachsen bin?

    Neben der Eselkoppel hat früher ein Häuschen gestanden, das Henks und Riets Zuhause werden sollte, nach ihrer Hochzeit. Zuerst mußte der Knecht das Feld räumen; dann sollten Henk und Riet Kinder bekommen, irgendwann wäre die junge Familie aus dem Häuschen herausgewachsen und schließlich ins große Haus hinübergewechselt. Das stand alles im voraus fest; Mutter hatte sich in Gedanken schon mit der Einrichtung des Häuschens beschäftigt. Nach dem Auszug des Knechts und nach Henks Tod war es dann an Leute aus Amsterdam vermietet worden, die es nur an den Wochenenden und im Urlaub bewohnten. Als ich dreißig war, wollte Vater das Knechtshaus verkaufen. Mutter war nicht einverstanden. »Man kann nie wissen«, sagte sie mit einem Seitenblick auf mich. Im Herbst 1987 ist es abgebrannt, in einer Sonntagnacht, nachdem die Amsterdamer ihr Wochenende darin verbracht

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