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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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angefaßt hat. Sogar der schweigsame Viehhändler geht manchmal zur Eselkoppel, um sie am Kopf zu kraulen, auch wenn ich nichts für ihn habe.
    Mitten auf dem nassen Hof hole ich ihn ein.
    »Und?« frage ich.
    »Was meinen Sie?«
    »Wie findest du’s?«
    Er schaut sich bedrückt um. »Ich find’s schon etwas kahl hier.«

    »Willst du schon was tun?« frage ich in der Scheune.
    »Ja, klar.«
    Ich zeige auf das Fahrrad. »Das ist das Rad von meinem Vater, aber der kann schon lange nicht mehr radfahren. Wenn du es in Ordnung bringst, ist es dein Rad.«
    Henk geht zu dem Rad und wischt die Spinnweben vom Rahmen. »Wie alt ist denn das Ding?«
    »Och, so etwa zwanzig Jahre.«
    »Mein Gott«, sagt er.
    »Auf der Werkbank findest du Werkzeug und Flickzeug.«
    Er sieht sich um. »Luftpumpe?«
    Ich hole die Luftpumpe, die auch schon zwanzig Jahre alt sein könnte, unter der Werkbank hervor und stöpsele das Kabel der Neonröhre ein. »Komm«, sage ich. »Ich geb dir einen Overall.«

    »Was soll ich tun?« flüstert Vater.
    »Nichts Besonderes«, antworte ich.
    »Ja, aber. . .«
    »Was?«
    »Ich bin doch tot?«
    »Nein, jetzt nicht mehr.«
    »Die Mutter von dem Jungen . . .« Er bringt ihren Namen nicht über die Lippen.
    »Ja?«
    »Die denkt, daß ich tot bin.«
    »Das hatte seine Gründe.« Er tut mir leid. Ich will es nicht – ich will nichts, wenn ich bei ihm im Zimmer bin –, aber ich kann nichts dagegen machen.
    »Wo ist er?«
    »Er ist in der Scheune und überholt dein Rad.«
    Vater ißt eine Scheibe Brot mit Käse, von einem Teller, den er sich mit zitternder Hand unters Kinn zu halten versucht. Ich habe das Licht angemacht. Es ist kurz nach drei, aber die Wolken wollen sich immer noch nicht verziehen. Was hatte ich denn gedacht, als ich ihn nach oben brachte? Daß es der erste Schritt auf dem Weg nach »oben« sein würde, wie Riet es aufgefaßt hat, als ich Ronald auf seine Frage geantwortet habe? Daß er hier, umgeben von den Fotos, Sticklappen und Pilzen, beim Ticken der Uhr, ruhig auf dem Rücken liegen und warten würde? Ich gehe zur Standuhr, öffne die Tür und ziehe die Gewichte hoch.
    Ich stelle mir vor, daß Riet in der Küche hantiert und kocht, das Licht brennt schon. Überall tut sich irgend etwas. Vater liegt hier; wo ich bin, weiß ich noch nicht; Henk arbeitet in der Scheune, auch bei Licht; im Stall stehen friedlich und ruhig die Kühe; im Eselstall lassen sich Teun und Ronald Wintermöhren aus den Händen fressen; bei der Bosman-Mühle liegen die zwanzig Schafe. Ada kommt vorbei, trinkt Kaffee mit Riet, fragt sie, ob sie sich morgen ihre gerade vollendete Wallhecke aus Weidenruten ansieht; das Summen der elektrischenKüchenuhr ist schon viel weniger penetrant; der Winter ist noch längst nicht vorbei. Und natürlich weiß ich, wo ich bin: Ich bringe mit Henk zusammen das Fahrrad in Ordnung, und Riet ist eher eine Mutter als eine Frau.
    »Die alte Möhre«, sagt Vater.
    »Ja, aber noch zu gebrauchen.«
    »Wie ist er?«
    »Das weiß ich noch nicht.«
    »Neulich hast du das auch gesagt.«
    »Wie du meinst«, sage ich. Ich nehme ihm den Teller ab und gehe zur Tür. »Licht an?«
    »Licht an«, sagt Vater.
    »Ich schicke ihn dann heut abend mal zu dir.«
    »Na . . .«
    »Wir können doch nicht so tun, als ob es dich nicht gibt?«
    »Nö.«

    Das Fahrrad steht umgedreht vor der Werkbank. Henk hockt davor. Er hat einen alten, verschossenen grünen Overall von Vater an, mit großen Flicken auf den Knien, den Kragen hat er hochgeschlagen. Neben dem Rad badet in einem Blechdeckel die Kette, anscheinend in etwas Dieselöl. Die Reifen sind aufgepumpt. Er blickt auf, als ich in die Scheune komme. Auf einer Bakke hat er einen schwarzen Streifen. Jetzt, wo er auf dem Boden hockt, sehe ich, daß er den Mund seiner Mutter hat.
    »Hinten muß ein neues Schutzblech dran«, sagt er.
    »Ich kann eins kaufen«, antworte ich.
    »Und es dauert nicht mehr lange, bis die Reifen zerbröseln.«
    »Wenn sie ganz am Ende sind, kann ich die auch neu kaufen.«
    »Die Kette hab ich in Dieselöl gelegt.«
    »Hast du das aus dem Tank gezapft?«
    »Ja.«
    Alles, ohne mich zu fragen. Was sagt das? Ich weiß es nicht.
29
    Wir essen Grünkohl. Wenn ich einmal mit Grünkohl angefangen habe, esse ich ihn mindestens an zwei Tagen pro Woche. Der Vorrat im Gemüsegarten reicht bis weit in den Winter hinein. Mutter hat die Kartoffeln immer mit einem Würfel Fleischbrühe gekocht, ich koche sie mit Gewürzbrühe. Würste kaufe ich beim

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