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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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machen.
    »Nein, innen.«
    Henk dreht seine Hände um.
    »Hm«, macht Vater.
    »Dein Rad fährt wieder«, sage ich.
    »Mein Rad, ja. Sei vorsichtig damit«, sagt er zu Henk.
    »Ja, das werde ich«, antwortet Henk höflich.
    Vater hat den Teller mit Grünkohl auf dem Nachttisch abgestellt. »Hast du Erfahrung mit Kühen?«
    »Nein«, sagt Henk.
    »Sein Vater hatte Schweine«, erkläre ich.
    »Schweine!«
    »Ja«, sagt Henk. Fast unmerklich rückt er wieder vom Bett weg.
    »Das ist ganz was anderes!« stellt Vater fest. Er schüttelt den Kopf. »Schweine«, wiederholt er leise.
    »Henk kommt aus Brabant«, sage ich.
    »Ja, das hatte ich schon gehört.«

    Ich muß zugeben, daß mir seine Haltung imponiert. Vater liegt nicht wie ein alter, verbrauchter Mann im Bett, sondern wie ein
     Großgrundbesitzer mit Grippe. Im Frühjahr 1966 hat er den Knecht entlassen. Henk und ich waren achtzehn, die Sache mit Riet sah nach etwas Dauerhaftem aus. Der Knecht bekam ein halbes Jahr Zeit, sich eine neue Anstellung zu suchen. Gemessen daran, wie Vater mit dem Knecht umzugehen pflegte, war das sehr großzügig von ihm.

    »Hier hab ich das Sagen, verdammt noch mal! Du tust, was ich dir auftrage!«
    Vater und der Knecht standen sich im Stall gegenüber. Ich stand schräg hinter Vater, voll unterdrückter Wut, und als ich einmal kurz aufzublicken wagte, sah ich, daß derKnecht den Kopf gesenkt hatte, genau wie ich. Ich weiß noch, daß ich mich über das Wort »auftrage« wunderte. So etwas hatte ich aus Vaters Mund noch nie gehört. Was der Knecht falsch gemacht hatte, wußte ich nicht.
    »Wer hat hier das Sagen?«
    »Sie«, sagte der Knecht, ohne den Blick zu heben, aber ich konnte spüren, wie es in ihm gärte. »Sie haben das Sagen.«
    Ich war jung, so jung, daß mir nun die Tränen in die Augen stiegen. Mein Vater war mir zuwider; wie gern hätte ich den Mann, der mir mit seinen eigenen Händen das Schlittschuhlaufen beigebracht hatte, gegen ihn in Schutz genommen. Aber ich war jung und wußte ja nicht einmal, was der Grund für diese Auseinandersetzung war. Allerdings war ich nicht zu jung, um das Zucken der Muskeln am Hals des Knechts zu bemerken. Ein widerspenstiges Zucken, es hatte etwas Herausforderndes an sich. Nach seiner Unterwerfung richtete er sich gerade auf, schaute aber nicht Vater an. Er schaute mich an. In seinen Augen schwelte es noch.

    Jetzt versucht Vater wieder in seine alte Rolle zu schlüpfen, die Rolle des Bauern gegenüber dem Knecht. Vielleicht geht das ganz von selbst, vielleicht liegt einem das im Blut. Liegt ihm das im Blut.
    »Weg«, sagt er. »Dann kann ich in Ruhe essen.«
    Henk ist schneller an der Tür als ich. Er ist auch vor mir auf der Treppe.
    »Mein Gott«, sagt er, als er durch die Tür zur Waschküche geht.

    Henk möchte fernsehen.
    »Ich habe keinen Fernseher«, sage ich.
    »Was? Ja, was machst du denn abends?«
    »Zeitung lesen, Papierkram, nach den Tieren sehen.«
    »Papierkram?«
    »Ja. Buchführung über Mineraldünger, Gesundheitsbuchführung für den Tierarzt, Hygienebuchführung für die Molkerei . . .«
    »Verstehe. Und was soll ich machen?«
    Darauf weiß ich keine Antwort.
    »Man verpaßt doch jede Menge, wenn man keinen Fernseher hat.«
    »Ach.« Wir sitzen in der Küche. Henk hat nichts mehr zu sagen. Ich stehe auf und öffne die Tür des Wäscheschranks. »Hier liegen Handtücher. Komm mal mit.« Ich gehe voraus in die Waschküche. »Da steht die Waschmaschine, wenn du schmutzige Wäsche hast, wirf sie einfach in den Korb.« Dann mache ich die Badezimmertür auf. »Das Badezimmer«, erkläre ich. »Warmes Wasser kommt aus einem Boiler. Es ist ein großer Boiler, aber irgendwann ist doch Schluß.« Wir gehen in die Küche zurück. »Kannst du kochen?« frage ich.
    »Ich kann Nudelsoßen machen.«
    »Gut.«
    Er geht gleich weiter zum Wäscheschrank, zieht ein Handtuch vom Stapel und verschwindet im Flur. Man könnte meinen, ich hätte ihm einen Auftrag gegeben. Ich höre ihn auf der Treppe; anschließend ist es einen Augenblick still. Dann kommt er wieder herunter. Kurz darauf läuft im Badezimmer Wasser. Nach zehn Minuten dreht er die Hähne wieder zu. Seit er die Küche verlassen hat, habe ich nichts mehr getan. Ich habe am Tisch gesessen und mich mit gekreuzten Unterarmen auf die Platte gestützt. Die Tür zur Waschküche öffnet sich. »Ich geh ins Bett«, ruft er.
    »Gute Nacht«, rufe ich.
    »Ja.« Er geht die Treppe hinauf. Oben wird es still.Er hat die Hälfte der Ablage

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