Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
mir in den Wagen gestiegen?
Bei Zunderdorp biege ich nicht nach rechts ab, sondern fahre geradeaus weiter. Auf dem Volgermeerpolder reißen schwere Maschinen kleine verkümmerte Bäume aus der Erde. Man hat endlich angefangen, den Chemiedreck zu beseitigen. Auf der schnurgeraden Straße über den Belmermeerpolder sagt der Junge neben mir etwas.
»Was für ein Sauwetter.«
Ich blicke kurz zur Seite, die Straße ist schmal, und ein Wagen kommt uns entgegen. Er muß diesem Wien nachschlagen, denke ich, während ich den Wagen an den Rand lenke. Seine träge Sprechweise paßt nicht so ganz zu dem kurzen fuchsroten Haar. Vielleicht hat Riet ihn gestern zum Friseur geschickt, und als er den Friseur nach Kamm und Schere greifen sah, hat er dann »nein, bitte mit der Haarschneidemaschine« gesagt, in der Hoffnung, daß Riet bei seiner Heimkehr einen ordentlichen Schreck bekommen würde. Ich habe immer noch das seltsame Gefühl, daß irgendwem ein Irrtum unterlaufen ist.
Nach Hause zu kommen hilft nicht wirklich dagegen; nach Hause zu kommen, wenn man an einem ganz anderen Ort gewesen ist, hat immer etwas Seltsames. Liegt das daran, daß zu Hause alles noch genauso ist, wie man es zurückgelassen hat? Während man selbst ja etwas erlebt hat, so unbedeutend es auch gewesen sein mag, und älter geworden ist, wenn auch vielleicht nur um ein paar Stunden? Ich sehe den Hof mit seinen Augen: nasse Gebäude in einer nassen Umgebung, triefende, kahle Bäume, vom Frost arg mitgenommenes Gras, mickrige Grünkohlköpfe, leeres Land, und in einem Zimmeroben eine brennende Lampe. Habe ich das Licht angemacht, oder hat Vater das selbst fertiggebracht?
»Wir sind da«, sage ich.
»Ja«, sagt Henk.
Weil es regnet, stelle ich den Wagen in die Scheune. Ohne sich umzusehen, nimmt er seinen Rucksack aus dem Auto.
»Kleider?« frage ich.
»Ja«, sagt Henk.
»Ich habe Stiefel und Overalls für dich.«
Er bleibt neben dem Wagen stehen, den Rucksack auf einer Schulter.
Außer mir selbst habe ich nie jemandem Arbeit zugeteilt. Vater teilte mir Arbeit zu. Wie macht man das? Erst mal ins Haus. Wenn ich losgehe, kommt er mir bestimmt nach. Hier in der Scheune sehe ich auch wieder alles mit seinen Augen. Säcke mit Kraft- und Beifutter, das Heu und Stroh in der dämmrigen Höhe des Heubodens, die Weideegge, die aufgehängten Arbeitsgeräte – Schaufeln und Spaten, eine Mistgabel, Heugabeln, Stoßhacken –, der Dieseltank auf seinen kurzen Beinen, die Werkbank mit ihrem Durcheinander (Schraubenzieher, Meißel und Hämmer liegen auf der Arbeitsplatte, während die Holzplatte mit den Nägeln zum Aufhängen und den Bleistiftumrissen leer ist), das silbergraue Giftschränkchen. Neben der Werkbank hängt Vaters Fahrrad an der Wand. Die Reifen sind leer, das hintere Schutzblech ist lose, die Kette rostig. Die Spinnweben sind alt und grau. Durch die Führungsnut des kleinen Schiebefensters über dem Rad sickert Regenwasser herein.
»Hast du einen Führerschein?« frage ich.
»Nein«, antwortet Henk.
Das Fahrrad. Das wird seine erste Arbeit.Die Birne in der Deckenlampe muß mindestens fünfundsiebzig Watt haben. Henks Rucksack liegt unter dem Kippfenster auf dem dunkelblauen Teppichboden. Der Regen prasselt auf die Scheibe. Henk selbst sitzt auf dem Bett. Wenn es hier etwas zu sehen gäbe, hätte er sich wohl kurz umgeschaut, vermute ich. Erst jetzt fällt mir auf, daß der Bettbezug ziemlich kindlich wirkt, er ist mit Tieren bedruckt. Mit afrikanischen Tieren: Ich sehe Löwen, Nashörner, Giraffen und ein Tier, das ich nicht erkenne. Die Wände um uns herum sind blendend weiß, die Marmorplatte auf dem petroleumblauen Nachttisch ist leer. Ich möchte etwas sagen, weiß aber nicht, was. Vielleicht möchte Henk auch etwas sagen. Es ist kalt im neuen Zimmerchen. Warum muß ausgerechnet heute so ein Sauwetter sein? Über dem linken Ohr hat er eine Narbe, einen schmalen daumenlangen Streifen haarlose Haut.
»Liest du?« frage ich. »Möchtest du eine Leselampe auf dem Nachttisch haben?«
»Ich hab ein Buch dabei«, sagt er.
»Dann suche ich gleich mal nach einer Leselampe.«
»Gut«, sagt Henk.
»Aber erst essen wir was.«
Ich gehe auf den Flur. Er kommt mir nach und zieht die Tür seines Zimmers fest zu. Aus Vaters Zimmer dringt das träge Ticken der Standuhr.
28
Mit einem Meßbecher schöpfe ich Milch aus dem Kühltank. Henk möchte Milch zum Brot. Ich trinke kaum Milch; wenn ich meine Existenzgrundlage selbst für irgend etwas verwende,
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