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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Metzger. In der Gefriertruhe ist viel, aber kein Schweinefleisch.
    »Haben Sie keinen Wein?« fragt Henk.
    »Wein?«
    »Rotwein. Schmeckt gut zu Grünkohl.«
    »Nein, Wein hab ich nicht. Nur Hochprozentiges.«
    Er schaufelt sich eine große Menge Senf auf den Teller. Wenn er eine Ladung Grünkohl auf die Gabel genommen hat, verteilt er mit dem Messer einen Klacks Senf darauf. Die Wurst schiebt er sich ohne Senf in den Mund.
    »Hör mal, Henk . . .« Bevor ich weiterrede, esse ich schnell noch einen Bissen. Das Aussprechen seines Namens war ein Hindernis.
    »Ja?«
    »Könntest du nicht du zu mir sagen?«
    »Doch, natürlich.«
    »Du und Helmer?«
    »Helmer«, sagt er. Er nimmt einen Schluck Wasser. »Schwierig«, sagt er dann.
    »Was ist daran schwierig?«
    »Das ist ein seltsamer Name. Klingt sehr jung.«
    »Für mich ist Henk ein schwieriger Name.«
    »Warum?«
    »Mein Bruder hieß Henk.«
    »Ach so.«
    »Du bist nach ihm benannt.«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Ich bin nach einem Onkel von meinem Vater benannt, aber das war ein Onkel noch eine Generation davor.«
    »Ein Großonkel.«
    »Nennt man so jemand Großonkel?«
    »Ja. Wer hat dir das gesagt?«
    »Mein Vater.«
    »Wußtest du, daß mein Bruder Henk hieß?«
    »Ja, meine Mutter hat manchmal von ihm erzählt. Aber nie, als ich noch klein war, erst viel später.« Er denkt kurz nach. »Ich glaube, erst im letzten Jahr.«
    »Noch etwas Wurst?«
    »Ja.«
    Ich schneide ein Stück Wurst ab und lege es ihm auf den Teller. Ein Auto fährt vorbei.
    »Warum sind die Vorhänge nicht zu?«
    »Wer sollte denn hier reinsehen?«
    Henk schaut geradeaus zum Seitenfenster. Ich sehe, daß er sein Spiegelbild anstarrt.
    »Mit Fernglas könnte ich den Leuten da drüben problemlos ins Haus sehen.«
    »Da wohnt die Nachbarin, von der die Marmelade ist.«
    »Hat sie ein Fernglas?«
    »Bestimmt.«
    Wir essen eine Zeitlang schweigend.
    »In Rußland ißt man Esel«, sagt er.
    »Was?«
    »Esel. Die ißt man in Rußland.«
    »Woher weißt du das?«
    »Och, das hab ich mal irgendwo gelesen.«
    »Russen sind eben Barbaren.«
    »Ach.« Er legt sein Besteck auf den Teller und schiebt ihn von sich weg. Dann verschränkt er die Arme und betrachtet sich selbst im Fenster. Ich räume die Teller ab und stelle sie auf die Anrichte. Aus dem Schränkchen unter der Spüle nehme ich die Spülschüssel und lasse sie mit heißem Wasser vollaufen.
    »Es ist noch was übrig«, sagt Henk.
    »Das ist für meinen Vater.« Weil ich an der Spüle stehe, wende ich ihm den Rücken zu. Er sagt nichts. Ich lasse die Teller und das Besteck in die Spülschüssel gleiten. Hinter mir ist es immer noch still. Ich drehe mich um. Seine Arme sind nicht mehr verschränkt, und er sitzt etwas aufrechter auf seinem Stuhl. Er starrt mich an. Wenn er nicht hier wäre, hätte ich nicht jetzt schon heißes Wasser in die Schüssel laufen lassen.
    »Für meinen Vater«, sage ich noch einmal.
    »Ist noch jemand hier im Haus?«
    »Ja.«
    »Ihr Vater. Ich dachte . . .«
    »Was?«
    »Als Sie sagten ›der kann nicht mehr radfahren . . .‹«
    »Ja?«
    »Und das Rad ist so alt, ich dachte . . .«
    »Was dachtest du?«
    »Daß er schon lange tot wäre.«
    »Nein, ist er nicht.«
    »Mein Gott. Wo ist er denn?«
    »Oben.«
    »Wo das Licht gebrannt hat, als wir hier angekommen sind?«
    »Ja.«
    »Ist was nicht in Ordnung mit ihm?«
    »Er ist alt. Seine Beine wollen nicht mehr.«
    »Wie alt?«
    »In den Achtzigern. Geistig geht es allmählich auch bergab mit ihm.«
    »Mein Gott.«
    Ich sehe Riet und Henk in ihrem Dorf in Brabant vor mir. Sie wohnen zusammen, aber ich kann sie in Gedanken nicht in einem Raum zusammenbringen. Wo der eine hereinkommt, ist der andere im Weggehen; wenn sich eine Tür öffnet, schlägt gleichzeitig eine andere zu. Es wird kaum ein Wort gesprochen. Das kommt mir nun sehr gelegen, ich brauche weniger zu erklären als erwartet.
    »Bringen wir ihm jetzt erst mal sein Essen«, sage ich, »bevor es kalt wird.«
    »Wir?«
    »Ja, wir.«
    Er sieht mich an, als hätte ich von ihm verlangt, einen Toten zu waschen.

    »Zeig mal deine Hände.«
    Jetzt muß Henk näher an das Bett heran. Seit er im Zimmer ist, hat er seinen Blick in alle Winkel und über alle Gegenstände an den Wänden wandern lassen, bis er schließlich an dem Gewehr hängenblieb, das seitlich an der Standuhr lehnt. Das starrt er nun schon eine Zeitlang an. Er streckt die Arme aus, mit den Handrücken nach oben, als wollte er einen Kopfsprung ins Wasser

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