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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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unter dem Spiegel in Beschlag genommen. Rasierzeug, Zahnbürste, Zahnpasta und Zahnstocher, Duschgel, Shampoo; Deodorant, das teuer aussieht. Sein feuchtes Handtuch hängt über der Stange des Duschvorhangs. Ich wische den beschlagenen Spiegel ab und betrachte mein Spiegelbild. »Wunderbar dichtes Haar«, murmele ich. Schwarzes Haar, immer noch.

    Ich bin todmüde, kann aber trotzdem nicht einschlafen. Nicht weit vom Hof schwimmt eine Schar Bläßhühner auf dem Kanal. Die Nebelkrähe ist still, und es trommelt kein Regen mehr auf die Fensterbretter. Bin ich jetzt eine Art Vater? Was bin ich? Kann er in dem Zimmer schlafen? Er hat nicht nur keinen Schrank, er hat nicht einmal einen Stuhl. Nudelsoßen. Ich glaube nicht, daß Vater davon begeistert sein wird. Woran mag Vater denken? Wie es auf einmal lebt und atmet da oben. Zum ersten Mal, seit ich Vaters Schlafzimmer übernommen habe, spüre ich so etwas wie Bedauern über den Wechsel. Kurz bevor ich einschlafe, als ich keinen Gedanken mehr festhalten kann, sehe ich wieder den Jungen, der Riet so ähnlich war, hinten auf dem Rad sitzen. Er hat die Arme fest um das Mädchen geschlungen.
30
    Ich gehe durch die Stalltür auf den Hof, und ein kalter Nordwind schlägt mir ins Gesicht. Es wird doch nicht schneien? Hinter dem Hof färbt sich der Himmel allmählich grau. Das Jungvieh versorge ich immer nach dem Melken. Wenn Henk aufgestanden wäre, hätte er das Jungvieh versorgen können. Das Licht im Eselstallbrennt, die Esel wenden ihre Hinterteile dem Eingang zu. Sie wissen, daß ich später komme. Esel sind nicht dumm. Zuerst bekommen die Jungrinder ihr Kraftfutter. Wenn sie damit beschäftigt sind, ziehe ich den Mist unter ihnen weg und schütte ihnen frisches Stroh auf. Dann bekommen sie Heu. Jungrinder sind viel ungeduldiger als Kühe, sie schnauben und zerren an den Ketten, bis sie zu fressen haben. Es kommt vor, daß morgens drei oder vier gleichzeitig zu brüllen anfangen, und dann ist die Hölle los, bis alle ihr Heu haben. Ich karre den Mist aus der Grüppe weg und kehre zum Schluß den Stallboden. Henk ist nicht aufgestanden, weil ich ihn nicht aus dem Bett geholt habe. Vor zwei Stunden war ich auf dem Weg nach oben, aber auf der viertletzten Stufe habe ich es mir anders überlegt. Vater muß mich gehört haben, er rief nach mir. Ich bin schnell wieder nach unten gegangen.
    Der Besen ist ziemlich neu, die roten Nylonborsten sind noch steif, es gibt einen hellen Ton, wenn sie auf den Betonboden treffen. Obwohl ich mir Zeit lasse, geht mir das Kehren zu schnell.

    Als ich ins Haus komme, ist alles still. Halb neun. Bevor ich das Radio einschalte, drehe ich die Lautstärke etwas herunter. Ich koche eine Kanne Tee und decke den Tisch. Fahlgelbes Licht über dem Land. Schneelicht. Ich trommle mit den Fingern auf die Tischplatte. Jetzt wird es mir allmählich doch zu dumm. Ich gehe die Treppe hinauf und dann auf Zehenspitzen zur Tür des neuen Zimmerchens. Als ich dort angekommen bin, weiß ich nicht mehr, was ich machen soll. Noch nie im Leben habe ich jemanden aus dem Bett geholt. Ich klopfe mit den Fingerspitzen leicht auf die Tür und warte einen Moment ab. »Henk«, sage ich. Ich klopfe mitden Knöcheln auf die Tür. »Henk!« Nichts tut sich. Zu lange bleibe ich da stehen, ohne etwas zu tun, ohne mich zu bewegen. Ich wage nicht, ins Zimmer zu gehen, und das in meinem eigenen Haus! Mit Ärger im Bauch gehe ich zur Treppe zurück.
    »Helmer!« tönt es aus Vaters Zimmer.
    »Ja, ja, ja«, murmele ich. »Dich rufe ich doch nicht.«
    In der Küche setze ich mich an den Tisch und fange an zu essen. Erst nach einer Weile wird mir bewußt, daß das Radio läuft.

    Ich fahre nach Monnickendam. Dort gehe ich nacheinander in den Fahrradladen, in ein Lampen- und ein Elektronikfachgeschäft. Ich bezahle das Schutzblech, die Leselampe und den Fernseher bar. Ob ich eine Parabolantenne mit Decoder bräuchte, möchte der Elektronikverkäufer wissen. »Eine was?« frage ich. Oder ob ich einen Kabelanschluß hätte? Ich denke nach und sehe Arbeiter von der Gemeinde Gräben ausheben, vor den Straßenlampen; ich sehe bunte Kabel; dann sehe ich auch jemanden in einer Ecke des Wohnzimmers knien, einen dicken jungen Mann, dessen Gesäßspalte ein Stück aus dem Hosenbund herausschaut und der ein kleines Kästchen, eigentlich eher eine Art Doppelsteckdose, an der Wand befestigt, nachdem er ein Loch in die Außenwand gebohrt hat. Ich sehe einen schmalen Streifen vergilbten Rasen im

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