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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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schaute zu Vater hinüber, hauptsächlich, um Henk nicht ansehen zu müssen. Vater saß wie versteinert in seinem Wohnzimmersessel und sagte kein Wort. Er raschelte übertrieben mit seiner Zeitung.
    Riet war nicht da, es war ja ein Abend an einem normalen Wochentag und fast schon Schlafenszeit.

    Danach, Ende August und Anfang September, besuchte ich Jaap noch ein paarmal.
    »Was willst du dauernd bei Jaap?« fragte Vater argwöhnisch.
    »Nichts«, sagte ich.
    »Hat er schon eine andere Wohnung gefunden?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Oder andere Arbeit?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Worüber redet ihr denn?«
    »Alles mögliche.«
    »Früher bist du nie zu ihm gegangen.«
    »Jetzt ja.«
    »Seltsam«, sagte Vater zögernd. »Sehr seltsam.«

    Wir tranken Bier und saßen uns gegenüber. Er immer auf dem Sofa, ich im Sessel. Ich unterdrückte den Wunsch, mit dem Rauchen anzufangen, der sich bald meldete. Wenn er rauchte, strahlte er soviel Ruhe aus. Er bot mir nie seinen Tabak an. Bei keinem meiner Besuche erwähnte er Vater. Er sagte ohnehin nicht viel. Wenn überhaupt einer von uns redete, war das meistens ich. Ich war jung, ich dachte vor allem an mich selbst. Fast nie stellte ich ihm mal eine Frage. Ich weiß nicht, wie er zu seiner schiefen Nase gekommen war, ich wußte nicht einmal, wo er herkam. Ab Anfang September hatte ich jede Menge zu erzählen: von meinen ersten Tagen an der Uni, von Dozenten, Kommilitonen. Er wunderte sich nicht, daß ich kein Bauer geworden war. »Du siehst die Tiere nicht so an wie dein Bruder, er hat einen anderen Blick«, meinte er.
    »Was denn für einen?« fragte ich.
    Das konnte er nicht erklären. »Du bist anders. Dein Blick ist anders. Er wird wohl auch das Mädel anders angesehen haben.«
    »Ich hab sie gar nicht angesehen.«
    »Tja.«
    Irgendwie hat er mir durch etwas hindurchgeholfen, auf einmal konnte ich Henk zu Hause in die Augen sehen und Riet mehr oder weniger ignorieren. Wird schon alles werden, hörte ich ihn noch lange sagen. Auch nachdem er weggezogen war.
    Das letzte Mal kam ich Mitte September insKnechtshaus. Im Wohnzimmer standen Kartons, der Bücherschrank war schon halb leergeräumt, der Teppich lag aufgerollt hinter dem Sofa, das Radio war nicht mehr eingestöpselt.
    »Ich fahre morgen weg«, sagte er. »Sag das bitte deinem Vater.«
    »Wo gehst du hin?« fragte ich.
    »Zurück nach Friesland.«
    »Du kommst aus Friesland?«
    »Hiesto dat noait heard dan?« fragte er.
    »Was?«
    »Ob du das nie gehört hast.«
    Nein, das hatte ich nie gehört.
    »Besuch mich mal.«
    »Mach ich.«
    Er legte mir ein letztes Mal seine große Hand in den Nacken. »Kommst du klar?«
    »Ja, sicher«, sagte ich.
    »Fein.«

    Es sollte nicht schon alles werden. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Im Herbst bin ich noch ein paarmal in das leere Knechtshaus gegangen. In diesem Haus war ich jemand gewesen. Im Zimmer roch es noch lange nach seinem Tabak. Sieben Monate später war Henk tot, und ein paar Tage danach hockte ich unter den Kühen.
    Dort bin ich nie mehr weggekommen.
36
    Schon seit ein paar Tagen ist es windstill. Der Wetterbericht in der Zeitung und eine Wetterfröschin im Fernsehen – die hartnäckig »ein Hoch, was milde Luftbringt« oder »ein Tief, was sich abschwächt« sagt – hatten Sonne vorhergesagt, aber es kam Nebel. Kalter Nebel. Seit ein paar Tagen scheint nun doch die Sonne, aber es ist immer noch kalt. Februarfrostwetter. Das Wasser in den Gräben ist von einer dünnen Eisschicht bedeckt, aber ich brauche nicht zum Groote Meer zu gehen, tagsüber friert es nicht. Adas Mann bringt Jauche aus, und er ist nicht der einzige. Ada selbst hat Wäsche aufgehängt. Das Wetter ist für beides ideal, aber es paßt halt doch nicht so ganz zusammen, Mist und frisch gewaschene Wäsche.
    Ich liebe die Februarsonne. Letztes Jahr um diese Zeit sagte Teun: »Auch totes Holz ist schön.« Wie er darauf kam, weiß ich nicht, und Bäume und Sträucher ohne Blätter sind ja nicht tot, aber er hatte recht. Kahle Äste im schrägen Sonnenlicht sind schön, graue Schafsrücken im schrägen Sonnenlicht sind schön. Die Nebelkrähe sitzt auf ihrem Ast in der Esche und sieht sich munterer als gewöhnlich um, und es kommen mehr Radler vorbei als noch vor ein paar Tagen. Auf Henk hat die Sonne eine andere Wirkung. Er liegt im Bett.
    Heute morgen habe ich ihn wachgeklopft.
    »Geh weg«, rief er.
    »Es ist halb sechs.«
    »Ja und?«
    »Zeit zum Aufstehen.«
    »Steh selber auf.«
    »Bin ich

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