Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
Vom Netzwerk:
entlassen hattest, nicht einmal bei ihm gewesen, weil du ihn nicht als deinesgleichen sehen wolltest. Ich habe ihn als meinesgleichen gesehen. Er hat mich auf den Mund geküßt, verdammt noch mal. Hast du mir jemals einen Kuß gegeben? Hast du jemals etwas Nettes zu mir gesagt? Weißt du, was ich will? Nein, das weißt du nicht, ich weiß es ja selbst nicht. Der Viehhändlerkommt also nie mehr, deshalb läßt er dich grüßen, und die Milchfahrer kommen auch nie mehr, der eine ist tot, das wußtest du schon, der mürrische, aber vielleicht hast du’s vergessen, weil du senil bist, und der andere, der junge, der immer lächelt, fährt demnächst woanders. Das ist auch deine Schuld. Nicht, daß er weggeht, aber du hast dafür gesorgt, daß er von mir weggeht. Wenn ich nicht hier gewesen wäre, hätte ich ihn nicht gekannt. Ich glaub übrigens nicht, daß wir Ada hier noch oft zu sehen bekommen, die schaut lieber aus der Entfernung bei uns rein, und Ronald ist der einzige von drüben, der noch kommt, mit Teun haben wir’s uns verdorben, weil . . .«
    »Helmer!« Henk ruft, unten an der Treppe.
    Vater wird wach.
    Ich stehe auf. »Ich hab dir was zu essen hingestellt«, sage ich.
    »Hab ich geschlafen?« fragt Vater.
    »Machen wir jetzt weiter?« ruft Henk.
    »Ich komme!« rufe ich. »Ja«, sage ich zu Vater.
    »Gar nicht gemerkt. Ich bin so müde.« Er richtet sich auf und schaut zu dem Teller. »Käse«, sagt er. »Lecker.«

    Eigentlich ist Henk doch eine Art Neffe, denke ich, als ich die Treppentür hinter mir zumache und ihn in der Waschküche stehen sehe. Er zieht gerade seinen Overall an, den Overall mit dem zu engen Schritt, den zu kurzen Ärmeln und dem Riß an der Schulter. Ein Halbneffe, ein Wenn-Neffe, eine Art angeheirateter Neffe.
39
    »Ich lauf ganz sicher nicht hinter den Eseln her. Mach’s allein.«
    »Dann stell dich einfach da auf den Hof.«
    »Ich will nichts mit den Viechern zu tun haben.«
    »Wenn du dich da hinstellst, hinter dem Gatter, laufen sie direkt auf die Koppel.«
    »Und wenn ich mich da nicht hinstelle, dann nicht?«
    »Henk, sie tun dir nichts. Es sind meine Esel.«
    »Wie meinst du das?«
    »Nicht der Zwergesel von deinem Vater.«
    »Hm?«
    »Der dich getreten hat.«
    »Woher weißt du das?«
    »Von deiner Mutter.«
    »Scheiße.«
    »Wieso fluchst du jetzt?«
    »Was hat sie dir noch alles erzählt?«
    »Nichts. Glaub mir: je kleiner, desto gemeiner. Shetlandponys sind auch falsch, die treten aus und beißen. Das hier sind richtige Esel, die tun dir nichts. Teun und Ronald . . .«
    »Was hat sie noch alles erzählt? Warum bin ich eigentlich hier?«
    »Was weiß ich.«
    »Ganz ohne Grund?«
    »Was?«
    »Bin ich ganz ohne Grund hier?«
    »Nein . . .«
    »Also warum!«
    »Weil du zu Hause nichts mit dir anzufangen wußtest.«
    »Zu Hause? Wo zu Hause?«
    »Na ja, in Brabant.«
    »Ja Scheiße noch mal.«
    »Was ist denn? Fluch nicht so rum.«
    »Was ist das für ein blödes Gequatsche! Nichts mit mir anzufangen?«
    »Ja, nichts mit dir anzufangen.«
    »Wie lange muß ich noch hierbleiben?«
    »Muß, muß. Du mußt nichts.«
    »Wenn ich will, kann ich also weg?«
    »Natürlich.«
    Es ist März, und die Sonne ist verschwunden. Wir stehen vor dem Eselstall, es nieselt. Der Zaun um die Eselkoppel ist fertig.
    »Streitet ihr euch?« Ronald steht plötzlich neben uns. Wie ein treues Hündchen.
    »Nein, nein«, sage ich.
    »Wir haben eine Meinungsverschiedenheit«, erklärt Henk.
    »Was ist das?«
    »Daß Helmer etwas sagt, das ich nicht richtig finde.«
    »Und Henk etwas, das ich nicht richtig finde.«
    »Ach so«, sagt Ronald. »Kommen die Esel auf die Weide?«
    »Ja.«
    »Toll! Darf ich helfen?«
    »Ja, sicher. Wo ist Teun?«
    »Zu Hause.«
    »Hatte er keine Lust zu kommen?«
    »Nein.« Er schaut von mir zu Henk und wieder zu mir und beschließt, uns ins Vertrauen zu ziehen. »Er findet euch doof.«
    »Stell dich einfach da auf den Hof.« Ich zeige zum Damm hinüber.
    Ronald rennt gleich los – fröhlich, immer fröhlich – und bleibt auf der Höhe der Milchkammertür stehen. Dann hebt er die Hand, um zu zeigen, daß er auf seinem Posten ist.
    »Wenn ich weg will, darf ich also?« fragt Henk.
    »Ich halte dich nicht auf.«
    Er geht in die Scheune und kommt kurz danach auf Vaters Rad wieder heraus. In einer weiten Kurve steuert er auf den Damm zu. Ronald starrt ihn überrascht an. »Fährst du weg?« höre ich ihn fragen. Ich gehe langsam aufs Wohnhaus zu.
    Vielleicht sagt Henk etwas. Ich

Weitere Kostenlose Bücher