Oben ohne
Freitagmorgen sehr früh abreisen werde. Vorher müssen ein paar Untersuchungen gemacht werden, Abschlussgespräche und so weiter. Und dann muss ich erst mal raus! Das ist schon ganz schön aufwühlend. Anderthalb Stunden bis zum nächsten Termin – nichts wie weg.
Im Laufe des Tages wird es immer mehr zur Routine, darüber zu sprechen. Langsam würde sich ein Schild um den Hals lohnen. Nein, Spaß beiseite: Die Anteilnahme der anderen berührt mich sehr. Vielen steht die Traurigkeit danach ins Gesicht geschrieben. Komischerweise bin ich dann diejenige, die sagt: Macht euch keine Gedanken, das passt schon, ich weiß, was zu tun ist.
Der Mittwoch geht ansonsten mit weiteren Terminen herum. Am Donnerstagmorgen fange ich langsam an zu packen. Bei mir macht sich eine Nix-wie-weg-Stimmung breit. Am frühen Nachmittag mache ich mit Lorenz einen langen Spaziergang zum Königssee. Das tut gut. Er ist ebenfalls Patient hier, in der orthopädischen Abteilung. Wir sind Tischnachbarn bei den Mahlzeiten und haben uns in den vergangenen Wochen angefreundet. Er kommt aus Schönau und kennt die Gegend hier natürlich wie seine Westentasche. Beim Spazierengehen zeigt er mir noch einen neuen Weg von der Klinik zum See. Beim Gehen lassen wir die ganzen Wochen hier nochmal Revue passieren.
Danach warte ich eigentlich nur noch auf Tino, der später am Abend kommen wird.
»Vielleicht hätten wir doch den Kleinbus kaufen sollen.«
Tino ist etwas geschockt, wie viel sich in den zehn Wochen hier angesammelt hat. Er steht im Zimmer, wo schon Taschen, Tüten und Kartons herumstehen. Und unten ist ja auch noch mein Mountainbike.
Aber es wird schon klappen. Später gehen wir mit Lorenz und seiner Frau noch in Schönau abendessen. Der Abschied naht. Schon am Donnerstagvormittag war die letzte Stationsrunde: Alle Ärzte und alle Mitpatienten sitzen zusammen, und es geht um allgemeine Themen. Wie meine Verabschiedung. Abschiede sind immer traurig, für mich waren sie viele Jahre richtig traumatisch. Vielleicht, weil der Abschied von meiner Mutter so überraschend kam, oder ich als Jugendliche damit schlicht überfordert war. Aber ich hatte ja auch keine Hilfe dabei, mit dieser Trennung fertig werden zu können. Hier in Schönau ist es zum ersten Mal anders: Es tut weh, aber es ist auch gut, jetzt zu gehen. Diese schier grenzenlose Traurigkeit, die mich sonst bei Abschieden immer überflutete, ist es dieses Mal nicht.
Am Donnerstagabend liegen wir im Bett und diskutieren, was wir morgen anziehen werden. Die Praxis ist schließlich in der Maximilianstraße. Ein Plastischer Chirurg in Münchens teuerster Einkaufsstraße – da wollen wir nicht in Shorts und Badelatschen auflaufen, sonst nimmt uns da am Ende keiner ernst. Tino hat die »einfache Business-Ausstattung« dabei, graues Jackett, Hemd, schwarze Hose. Ich habe mir am Mittwoch schon Gedanken gemacht. Die beige Stoffhose und eine schwarze Bluse mit Pailletten, damit würde ich mich gut fühlen. Tino hat mir die Bluse und noch Schuhe aus dem Schrank in Freiburg mitgebracht.
Am nächsten Morgen schleicht sich Tino ein letztes Mal aus der Station. Wir nehmen das schon nicht mehr wirklich ernst, und Tino macht eine kleine Show daraus. Er linst übertrieben vorsichtig aus der Türe.
»Alles roger!«, flüstert er mit Verschwörermiene. Er hebt den Daumen und schlüpft lautlos auf den Gang. Ich sehe noch, wie er die Klinke von außen ganz langsam loslässt.
EIN NETTER ARZT
Es passte tatsächlich alles in unseren kleinen Peugeot. Inzwischen wühlen wir uns schon durch den Großstadtverkehr in München. Evelyn hat den Stadtplan auf den Knien, während ich versuche, am Steuer Ruhe und Überblick zu bewahren.
Die Homepage von Professor Feller zeigte ein schönes Eckhaus an der Maximilianstraße in München, beste und teuerste Lage in der nicht gerade billigen Landeshauptstadt. Wir überqueren die Isar, und jetzt beginnt die Parkplatzsuche. Evelyn zeigt nach rechts, ich biege ab, nein, hier geht es doch nicht, alles voll, Blinker links und zurück auf die Straße.
»Da ist ein Parkhaus angeschrieben«, sagt Evelyn ein paar Meter weiter. An der Ampel biegen wir nach links ab, und ich werfe einen Blick auf das Eckhaus: »Das hier müsste es eigentlich schon sein … «
In der Praxis dürfen wir nochmal kurz ins Wartezimmer. Alles ist sehr schick, aber nicht protzig eingerichtet. Wir wechseln noch ein paar Worte. Wie wird der Arzt sein? Natürlich wünschen wir uns, dass er nett ist, denn
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