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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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umgegangen, und das wollen wir auch weiterhin so handhaben. Eigentlich ärgert es mich schon jetzt gewaltig, dass während des ganzen Abends noch keine Nachfrage nach unserem Befinden gekommen ist. Und jetzt ist zwar endlich das Geburtsthema durch – was natürlich auch seine volle Berechtigung hatte –, aber die beiden sitzen weiterhin versunken in ihr Familienglück am Tisch und zeigen noch nicht mal ein rudimentäres Interesse am wechselhaften Schicksal ihrer Gastgeber. Na gut, dann erzählen wir eben, ohne gefragt zu werden.
    »Dann kannst du ja gar keine Kinder mehr kriegen!«, ruft Tanja entsetzt, als sie hört, dass Evelyn eine Mastektomie plant.
    »Doch, natürlich! Wie kommst du denn darauf?«, fragt Evelyn erstaunt.
    Tanja sieht das anders: »Aber du kannst doch gar nicht mehr stillen!«
    Jetzt bin ich vollends fassungslos. Mit beiden Beinen und vollem Anlauf zurück ins Fettnäpfchen. Ich werfe einen fast schon flehentlichen Blick auf Horst, denn, hallo, jetzt wäre der goldrichtige Moment, um seine Freundin zurückzupfeifen. Aber der sitzt immer noch völlig zufrieden auf seinem Stuhl und verfolgt diese groteske Verhandlung regungslos.
    »Das hat doch nichts mit einer möglichen Schwangerschaft zu tun«, sagt Evelyn schließlich. »Die ist weiterhin möglich.«
    Sie erklärt, dass das Gewebe bei ihr aus dem Po genommen wird. Aber auch bei einer Entnahme aus dem Bauch stellen Schwangerschaften ja kein Problem dar, sobald die Narben verheilt sind.
    Tanja kann das nicht mit unserem Entschluss versöhnen. Es ist fast so, als ob wir ihr jetzt den Abend verdorben hätten. Sie macht ein beleidigtes Gesicht und wendet sich schließlich wieder ihrem Baby zu. Evelyn wechselt das Thema, und wir reden noch einige Minuten mit Horst über irgendetwas Belangloses, bevor die beiden dann endlich wieder aufbrechen. Als sie gegangen sind, bleibt mir nur das blanke Entsetzen. Wie kann man so unsensibel sein? Wir schütteln beide den Kopf. Und es enttäuscht mich, wie Horst sich verhalten hat. Irgendwie ist das jetzt der emotionale Tiefpunkt. Ich habe schon den ganzen Sommer sehr wenig Unterstützung von ihm bekommen, obwohl er wusste, dass es mir auch nicht gut ging. Aber so viel Unverständnis und Ignoranz für unseren Schritt ist uns bisher noch nicht begegnet. Und das gerade von den beiden.

    Am nächsten Tag klären wir noch ein paar Fragen mit Professor Feller, der tatsächlich umgehend zurückruft und auch am Telefon weiterhin sehr nett ist. Schließlich sagt Evelyn ihm, dass sie gerne die Termine im November und Dezember wahrnehmen würde. Wir hatten das auf der Autofahrt von München zurück bereits ausführlich diskutiert. Meine Meinung war zunächst gewesen, vielleicht noch einige Monate zu warten. Aber Evelyn war dafür, alles jetzt schnell über die Bühne zu bringen. Rein arbeitsmäßig wäre das auch das Beste für sie, denn die OPs werden sie sicher für drei Monate lahmlegen. »Wenn wir das gleich machen, kann ich vielleicht zum zweiten Halbjahr wieder in der Schule einsteigen.« Das habe ich schließlich eingesehen.
    Professor Feller notiert sich den Termin und erklärt, dass seine Assistentin uns alle nötigen Unterlagen und Informationen zukommen lassen wird.
    Als Evelyn auflegt, schaue ich in den Kalender: noch knapp vier Wochen bis zur ersten Operation.

COUNTDOWN
    November 2005

    Heute ist Ruhetag. Und unser vorletzter Urlaubstag. Wir haben uns nochmal eine Woche Radfahren auf Mallorca gegönnt. Nach einer langen Diskussion – denn eigentlich ist immer noch nicht klar, was finanziell eigentlich so auf uns zukommt. Es ist weder geklärt, was die ganzen Operationen insgesamt kosten werden. Und vor allem ist noch nicht klar, wer sie bezahlt. Als Beamtin bekomme ich fünfzig Prozent von der privaten Krankenkasse erstattet, und die anderen fünfzig Prozent von der sogenannten Beihilfe. Meine Erfahrung war bisher so, dass entweder beide bezahlen oder keiner. Die Klinik, in der Professor Feller operiert, ist hauptsächlich eine private Klinik. Also sicherlich nicht ganz billig. Hoffentlich können wir Krankenkasse und Beihilfe klarmachen, dass sie die prophylaktische Operation viel billiger kommt als eine Brustkrebserkrankung mit Entfernung des Tumors, Chemotherapie, anschließender Rehabilitation. Sowie einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit, in den folgenden Jahren wieder an Krebs zu erkranken und daran auch zu sterben. Was der gesunde Menschenverstand sagt, liegt ja wohl auf der Hand. Aber ob das

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