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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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Stimmung steigt mit jedem Meter, den ich von München wegkomme. Am Bodensee ist es dann wieder so warm, dass auch die Straßen frei werden. Ich komme rechtzeitig zur Sportschau in Freiburg an, werfe mich aufs Sofa, schalte die Kiste ein – und es ist tatsächlich ein wahnsinnig gutes Gefühl, genauso wie ich es mir vorgestellt hatte!

    Als ich am Montag wieder auf der Matte stehe, ist Evelyn schon deutlich fitter. Die Drainagen sind weg, sie kann herumlaufen, war sogar schon im Englischen Garten gewesen: eine heiße Schoki auf dem Weihnachtsmarkt am Chinesischen Turm trinken. Nichtsdestotrotz: In uns reift der Gedanke, dass wir den Klinikaufenthalt vielleicht verkürzen könnten. Wenn die Ponarbe noch aufhört zu nässen, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Wir reden permanent darüber, früher nach Hause zu fahren.

    Am Dienstag müssen wir uns leider von der netten Bettnachbarin verabschieden, die bisher mit in Evelyns Zimmer lag. Ihre Nachfolgerin ist erst eine ältere Dame, die am Empfang eines großen Unternehmens in München arbeitet. Sie »muss« jetzt etwas für ihr Aussehen machen, wie sie sagt, und lässt sich deshalb liften. Das ist für uns schon etwas seltsam. Ist das also tatsächlich schon Pflicht? Für den Job unters Messer des Plastischen Chirurgen?
    Die Narbe heilt in der Zwischenzeit gut. Nur die diffusen Schmerzen bleiben. Unsere Nerven liegen weiterhin ziemlich blank. Die etwas aufgesetzte Fröhlichkeit der gelifteten Bettnachbarin trägt nicht gerade zur Entspannung bei. Sie hat sich mit der OP einen Wunsch erfüllt und ist total glücklich. Wir haben uns auch quasi gesund für die OP entschieden: Unsere Umstände erscheinen uns jedoch dringlicher. Gelegentlich versuchen wir, eine Verkürzung des Aufenthalts durchzusetzen, aber die Ärzte bleiben jedes Mal hart. Natürlich könnten wir uns jetzt selbst entlassen, aber für diesen Aufruhr haben wir beide keine Kraft mehr. Außerdem bleibt natürlich die medizinische Frage, ob wir damit nicht in irgendeiner Weise das Ergebnis der Operationen gefährden würden – und das ist so ziemlich das Letzte, was wir wollen. Also fügen wir uns ins Schicksal.
    Für Donnerstag, den vorletzten Tag, nehmen wir uns einen kleinen Ausflug in den Timberland-Shop in Schwabing vor. Dort wartet ja noch die Kombination, die Evelyn bei unserem Aufenthalt im November gesehen hatte. Ihre ersten Klamotten mit den neuen Brüsten. Das Wetter hat sich beruhigt, es ist ein schöner und relativ milder Frühwintertag in München. Wir ziehen los, es geht gut, die Schmerzen sind vernachlässigbar. Evelyn probiert die Sachen an, und am Ende kaufen wir tatsächlich die komplette Ausstattung der Schaufensterpuppe. Bluse, Pullover, Rock, Stiefel und Gürtel. Sie sieht sehr schick darin aus. Das ist zwar eine Menge Geld, aber wir sind uns einig: Muss einfach sein. Danach hat sich Evelyn noch mit einer Bekannten verabredet, die einige U-Bahn-Stationen entfernt wohnt. Weil sie sich weiterhin gut fühlt, gehen wir die Strecke zu Fuß. »Wir können ja jederzeit in die U-Bahn steigen, wenn es dir zu viel wird«, sage ich. Bei der Bekannten beschließen wir, in ein Café in der Nähe zu spazieren, was dann doch auch wieder zwei Kilometer sind. Am Schluss gehen wir nicht nur den gesamten Hinweg, sondern auch noch komplett zurück. Alles in allem waren es bestimmt sieben oder acht Kilometer.
    Am Abend sieht die Assistentin von Professor Feller die Papiertasche der Timberland-Shops im Zimmer stehen, und will wissen, wie unsere Einkaufstour an der Münchner Freiheit war. Als sie hört, dass wir nicht mit dem Taxi dahin gefahren sind, fällt sie fast vom Glauben ab. Damit sie nicht gleich ohnmächtig zusammenbricht, behält Evelyn für sich, dass wir ja eigentlich noch wesentlich weiter gelaufen sind. Aber es hat sehr gutgetan, das Krankenhaus fast den ganzen Tag nicht zu sehen.
    Die geliftete Bettnachbarin wurde wieder entlassen. Evelyn ist sichtlich froh, das Zimmer für die restlichen Stunden allein zu haben.

    Doch es kommt anders. Ich habe sehr früh ausgecheckt und das Frühstück im Hotel einfach ausgelassen, sodass ich schon kurz nach sieben Uhr in der Klink bin. Kurz darauf geht die Tür auf, und eine etwa dreißigjährige Frau kommt herein, begleitet von einer älteren Frau, wahrscheinlich ihre Mutter. Die Tochter macht ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter, während die Mutter ihre Sachen im Schrank verstaut. Die junge Frau wirkt eher wie eine pubertierende Sechzehnjährige auf

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