Oberwasser
Tagen. Und was ist geschehen? Nichts! Überhaupt nichts. Der Tote ist tot, der Mörder läuft frei herum, und die Steuerzahler zahlens.«
Im Kerschgeiststüberl ging es trotz der späten Stunde hoch her. Viele Einheimische waren noch auf einen Absacker vorbeigekommen. Es war das gleiche Publikum, das tagsüber in der Metzgerei Kallinger herumhing, und es waren fast die gleichen Themen.
»Da muss ich dir einmal recht geben, Harrigl«, sagte die Seiff Martina mit spitzer Zunge. »Der Jennerwein wird den Wilderer nie fangen. Der Wilderer ist schon längst in Australien –«
»Oder aber er hat sich seinen falschen Bart längst abgerissen«, sagte der Presstaler Martin verschmitzt, »und arbeitet wieder brav am Schalter der Kfz-Zulassungsstelle, Personenverkehr A – F.«
Schallendes Gelächter im Kerschgeiststüberl.
»Ich finde das nicht witzig«, sagte Toni Harrigl. »Das ist immerhin ein Mörder. Ich glaube auch nicht, dass es einer von uns ist.«
»Möchtest du den Verdacht von dir ablenken, Harrigl?«, sagte die Seiff Martina. »Das wäre doch was: Tagsüber bist du ein braver Gemeinderat, Tagesordnungspunkt 5 / 23 – und nachts der böse Bube. Davon träumst du doch, oder?«
Großartiges Gelächter, mehrmaliges Anstoßen, enormes Saugen und Schlucken an verschiedenartigen Bieren. Leberkäse macht durstig.
»Ich habe einmal das Gerücht gehört, dass es ein italienisches Restaurant hier im Ort gibt, das voll in Mafia-Hand ist«, raunte die Hartmannsdorfer Traudi hinter vorgehaltener Hand. »Es soll angeblich das
Pinocchio
sein.«
»Warum gerade das Pinocchio?«
»Es liegt direkt an der Handelsstraße nach Italien –«
»Ja, das Gerücht habe ich auch gehört. Wir waren einmal drin. Nachdem wir ein paar Weißbier gezischt haben, hat der Luggermoser, der Depp, den Ober gefragt, ob er denn einen Auftragskiller wüsste. Daraufhin haben sie uns hinausgeworfen. Und ich habe mein Weißbier noch gar nicht ausgetrunken.«
»Das zeigt aber doch gerade, dass da was dran ist an dem Gerücht. Wenn die so empfindlich reagieren.«
Harrigl erhob sich und fuchtelte mit einem Brief herum.
»Ihr wisst, ich habe einen hervorragenden Draht zum bayrischen Innenministerium – und da habe ich eine Petition an den zuständigen Staatssekretär verfasst. Kopie an Polizeioberrat Dr. Rosenberger, das ist der Vorgesetzte von Jennerwein. Ich habe ausführlich geschildert, was der leitende Ermittler hier für einen Aufwand treibt. Sieben Beamte jagen einen Wilderer! Und schaffen es nicht, ihn zu fangen. Ich warte noch auf eine Antwort. Aber mein Schreiben wird garantiert ein Nachspiel haben.«
»Was heißt denn eigentlich
wildern
auf Lateinisch?«, fragte die Hartmannsdorfer Traudi den Latein- und Geschichtslehrer vom Werdenfels-Gymnasium.
»Nun, im Lateinischen gibt es kein Wort dafür«, sagte der Professor. »Da der römische Adel kein Verbot ausgesprochen hatte, zu wildern, wurde auch nicht gewildert. Kein Verbot, keine Übertretung – so einfach ist das.«
»Mit den alten Römern kannst du also schon einmal nicht anfangen, bei deiner Geschichte des Wilderns!«, sagte die Hartmannsdorfer Traudi.
»Vielleicht bei Adam und Eva?«, setzte die Seiff Martina hinzu. »Obstdiebstahl ist ja eigentlich auch so eine Art Wilderei.«
Nicht enden wollendes Gelächter im Kerschgeiststüberl.
Ursel und Ignaz Grasegger hatten es sich auf ihren Klappstühlen am obersten Punkt der Tiroler Wiese gemütlich gemacht. Von dort aus hatte man einen herrlichen Blick auf die Klamm und auf das Abendrot, das die Berge rötlich ränderte.
»Ja, spinnst du! Was tust denn du jetzt mit dem Nachtsichtgerät!«, rief Ursel entsetzt. »Wenn wir damit erwischt werden, dann ist es gleich aus mit unserer Bewährung!«
»Da schau, drunten im Kerschgeiststüberl ist noch schwer was los«, entgegnet Ignaz.
»Da werden schon wieder die üblichen Verdächtigen sitzen.«
»Der Harrigl Toni, der Kottesrieder Loisl, die Seiff Martina –«
»Die soll ja jetzt mit dem Noor Michl zusammen sein.«
»Nein, der Noor Michl ist mit der Holzmayer Vernika zusammen.«
»Schon lange nicht mehr. Der Mühlriedl Rudi und die Holzmayerin, die sind ein Paar.«
Ursel hatte den untrüglichen Sinn für das Geheimnis.
»Der Mühlriedl und die Holzmayer?«, sagte Ignaz bedächtig. »Die sind zusammen? Warum das denn? Ich weiß nicht, ob ich da zu konservativ bin – aber eine gewisse Verbesserung muss doch sein, wenn man schon fremd geht.«
»Aber schau
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