Oberwasser
kennen.«
Ignaz nahm eine Gabel von dem sensationell guten Kaiserschmarren und tunkte ihn in das selbstgemachte Apfelkompott. Dann erst schüttelte er den Kopf.
»Noch nie gehört. Wer soll das sein?«
In der Ferne, mitten in die nächtliche Stille hinein, war ein gewaltiges Krachen zu hören.
»Eine Sprengung? Was meinst du?«
»Möglich.«
»Der Ort hat sich ganz schön verändert. Es ist ungemütlich geworden.«
»Trotzdem. Es ist unser Ort. Hier sind wir daheim.«
66 .
Um dieselbe Zeit, in diesen mitternächtlichen Stunden, war ein zerbeulter und schmutzstarrender Pick-up unterwegs, diesmal auf der Autobahn, in Richtung Norden, in Richtung von Oliver Krapfs Heimatstadt. Boris und Nadja saßen im Auto, Nadja fuhr, und sie hörten sich endlich ungestört RealTechno an.
»Mich gehts ja nichts an«, sagte Boris, als eine langsame und leise Nummer kam. »Aber Arri hat Scheiß gebaut.«
»Wieso meinst du?«
»Wie hätte dieser Jennerwein sonst auf die Höhle kommen können? Wir haben immer einen großen Angriff erwartet – mit Hubschraubern und Hebekränen. In so einem Fall hätten wir reagieren und die Höhle sprengen können. Jennerwein ist ein Fuchs. Er hat eine undichte Stelle entdeckt. Und die undichte Stelle geht auf Arris Konto.«
»Ich denke, dass die Polizei gar nicht allein auf die Höhle gekommen ist. Dieser Wassersportler mit seinem Kajak und dann noch dieses Computer-Jüngelchen – die beiden haben Jennerwein hingeführt. Ich habe in den letzten Tagen ein Gespräch zwischen Arri und Wanda belauscht. Seine Befürchtung war, dass die beiden bei ihrem Rumgeschnüffle in der Klamm nicht nur Höhlen und Leichen und Skelette entdecken, sondern auch einen Lebenden. Einen, der reden könnte, der viel ausplaudern könnte. Einen, der unseren internationalen Knotenpunkt verraten könnte.«
»Deswegen hat er uns weggeschickt. Er will die Weißenborn-Sache alleine regeln.«
Das regelmäßige Nz-n, Nz-n eines Remix von DJ Sedativo machte die beiden schläfrig.
»Das Wichtigste ist die Bank«, sagte Nadja. »Die müssen wir schützen. Wer weiß, auf was dieser Knabe, dieser Krapf, noch alles gekommen ist.«
»Wenn du seinen Computer zerlegt hast, wissen wir mehr.«
»Ich fahr mal bei der nächsten Raststätte raus. Wir sollten ein paar Stunden schlafen. Der Computerfreak läuft uns nicht davon.«
Sie machten es sich auf dem Parkplatz der Autobahnraststätte Gellringshausen-Ost gemütlich, dem bundesweit anerkanntesten Knotenpunkt für totgebrutzelte Currywürste und halbdunkle Geschäfte.
Das Schlafbedürfnis der beiden Pick-up-Fahrer bedeutete einen klitzekleinen Aufschub für Oliver Krapf, eine Gnadenfrist, derer er sich natürlich gar nicht bewusst war. Er lag zu dieser Zeit noch selig schlummernd im Bett. Erst ein paar Stunden später klingelte der Wecker. Der Wecker
klingelte
bei Krapf natürlich nicht einfach, man hörte irgendein Fantasy-Motiv, einen Aufruf der kriegerischen Zwergenkönigin Hrusmote oder so ähnlich. Schlaftrunken tappte er auf dem Nachtkästchen herum, bis er bemerkte, dass nicht der Wecker klingelte, sondern sein Telefon.
»Ja?«
»Hier ist Tina.«
»Dachte ich mir schon.«
»Warum?«
»Niemand sonst ruft so früh an. Wo bist du?«
»Nirgends. Das heißt: zu Hause. Ich bin früher gefahren. Die andern sind noch in Afrika.«
»Hat es dir nicht mehr gefallen?«
»Ja. Nein. Doch. Wegen der Münze –«
»Wegen der Münze brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
»Die Inschrift ist ein Fake.«
Stille in der Leitung.
»Das wusste ich doch längst, dass das ein Fake war«, log Krapf.
»Wir wollten dir einen Streich spielen.«
»Dachte ich mir schon.«
»Glaube ich dir nicht.«
»Glaube mir oder nicht – ihr habt mir einen Gefallen getan damit. Ich bin indirekt durch die Münze auf eine ganz heiße Sache gekommen.«
»Ach ja? Willst du mir mehr verraten? Wollen wir uns treffen?«
»Gut, wann?«
»Wie wäre es mit jetzt gleich?«
»Es ist noch nicht mal acht Uhr!«
Mensch, Krapf, steh auf und geh aus dem Haus! Triff dich mit der sommersprossigen Tina, führe lange Gespräche, verbringe den ganzen Tag mit ihr. Schwing dich aus dem Bett, Krapf, streif dir dein Fibonacci-T-Shirt über, frisier dich und zieh Leine. Nur raus aus dieser Wohnung und raus aus diesem Haus!
»Nein, jetzt habe ich noch zu tun«, sagte Krapf und versuchte dabei stillzuliegen und ein Knarzen der Matratze zu vermeiden. »Vielleicht heute Nachmittag. Ich ruf dich später
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