Oberwasser
lesen, bin ich höchstwahrscheinlich in Not. Warum ich mich gerade an Sie wende? Ich habe die vergangenen Wochen wegen einer kulturwissenschaftlichen Sache in Ihrem Landkreis recherchiert. Genauer gesagt: Mich haben die Höllentalklamm und die damit zusammenhängenden Mythen von den Höhlenbewohnern interessiert. Ich bin schon einmal in Spanien wegen solcher Recherchen in Gefahr gekommen. Falls das aus irgendeinem Grund wieder passieren sollte, möchte ich vorgesorgt haben. Momentan hat also jemand meinen Computer ohne Zugriffsberechtigung hochgefahren, darum bitte ich, nachzusehen, was da los ist.
Vielen Dank im Voraus – Ihr Oliver Krapf
»Haben Sie dort schon angerufen?«
»Ja natürlich, alle angegebenen Nummern – es meldet sich niemand.«
»Was ist das für ein Typ?«
»Neunzehn, hat gerade das Abitur gemacht, jobbt ein bisschen, keine Vorstrafen, auch nicht auffällig geworden. Soll ich die Kollegen vor Ort anrufen?«
»Nein, noch nicht, warten Sie. Erstens befinden wir uns immer noch in einer verdeckten Ermittlung, zweitens sollten uns die Stichworte ›Höllentalklamm‹ und ›Höhlenbewohner‹ zu denken geben. Gut gemacht, Hölleisen – wir müssen den Brief sehr ernst nehmen.«
»Wir sollten hinfahren, es sind nur zwei Autostunden«, sagte Maria. »Ich melde mich freiwillig.«
»Danke, Maria, aber ich will jemanden hinschicken, der nicht eine Stunde im eiskalten Wasser herumgeschwommen ist. Becker? Stengele? Fühlen Sie sich fit genug dafür?«
»Klar.«
»Freilich.«
»Sehen Sie sich um. Aber riskieren Sie nichts. Wenn es brenzlig wird, fordern Sie sofort Unterstützung an!«
Die beiden erhoben sich und verließen das Zimmer. Sie stießen an der Tür mit Dr. Rosenberger zusammen.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen allen bin!«, sagte der Oberrat, als er sich gesetzt hatte. Alle konnten erkennen, dass dieses Riesentrumm von Mannsbild Tränen in den Augen hatte.
»Wie geht es Ihrem Freund?«
»Gut. Na ja: Relativ gut. An eine Befragung ist natürlich noch nicht zu denken. Er hatte einen Rückfall, sie haben ihn ins künstliche Koma versetzt. Ich brauche wohl gar nicht zu fragen, ob Sie aus Dombrowski etwas herausgekommen haben?«
»Ein wirklich hoffnungsloser Fall«, sagte Jennerwein. »Stengele hat ihn zwei Stunden in die Mangel genommen. Das ist ein Superprofi. Leider. Der lässt sich nicht mit Vergünstigungen locken, dem kann man nicht mit Drohungen und Versprechungen kommen. Er wartet wohl ab, ob Weißenborn, der wichtigste Zeuge gegen ihn, überlebt. Inzwischen bastelt er an einer wilden Story. Es sind schon zwei Rechtsanwälte da.«
»Er war neben Fred mein bester Mann«, sagte Dr. Rosenberger kopfschüttelnd. »Dass ausgerechnet er zum Verräter wurde! Aber dagegen sind wir bei verdeckten Ermittlungen nie gefeit. Jetzt ist mir auch klar, warum die BKA -Beamten zwar ab und zu Spuren gefunden haben, warum die Spuren aber alle plötzlich im Nichts endeten. Sie waren künstlich gelegt, um uns von der Höllentalklamm abzulenken. Die Mafia hat dort ein perfektes Endlager für unliebsame Mitarbeiter gefunden.«
»Mit Verlaub gesagt«, warf Jennerwein ein. »Ich glaube nicht, dass unsere italienischen Freunde etwas mit der Sache zu tun haben. Sie sind im Kurort nicht mehr operativ tätig. Ich habe eine Quelle. Von der höre ich durchaus glaubhaft, dass die Mafia keinen Mann namens Dombrowski kennt.«
»Wie sicher ist die Quelle?«
Jennerwein und Hölleisen blickten sich an.
»Ziemlich sicher«, sagte Hölleisen. »Auch ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass Dombrowski nichts mit der Mafia zu tun hat.«
»Wo kommt er dann her? Arbeitet er auf eigene Rechnung?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Jennerwein. »Gut, er hat eine Höhle gefunden, in der er Menschen verschwinden lassen kann. Er kann dort foltern, er kann verhören, er kann Entführungsopfer einsperren – aber sind dazu nicht Auftraggeber nötig? Vielleicht Waffenschmuggler oder Geldwäscher? Herr Dr. Rosenberger, Sie müssen Ihre BKA -Leute in dieser Richtung weiterermitteln lassen.«
Dr. Rosenberger überlegte. Dann gab er sich einen Ruck.
»Ich sage es Ihnen ganz offen. Ich habe die BKA -Leute von dem Fall abgezogen. Ich bitte Sie, die Ermittlungen weiterzuführen. Ich weiß, dass ich es den Vorschriften nach nicht von Ihnen verlangen kann, aber ich bitte Sie darum. Sie sind meine schlagkräftigste Truppe. Ich möchte wissen, wer die Hintermänner sind.«
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