Oberwasser
sie das organisierte Verbrechen braucht. Dort werden deren Projekte finanziert, Mannschaften ausbezahlt, Einnahmen deponiert. Geldwäsche, Geldübergabe, Gelddepots, Devisentausch, solche Sachen. Natürlich alles ohne Quittung. Es handelt sich um eine internationale Bande, die Hauptdrahtzieher sind Russen.«
»Waffenhandel?«
»Dombrowski steckt da ganz dick drin. Seine vorrangige Aufgabe war es, die Fliegende Sparkasse zu schützen. Als BKA ’ler sollte er die polizeilichen Ermittlungen auf die italienische Mafia lenken. Obwohl die längst nicht mehr im Kurort tätig ist. Eine weitere Aufgabe von ihm war, dafür zu sorgen, dass die Höhle in der Klamm unentdeckt blieb. Dort haben sie immer wieder Leichen entsorgt.«
»Und dieser Boris?«
»Ist ein kleines Licht. Er ist seit sieben Jahren dabei, hat aber die Auftraggeber noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen. War vorher Sprengmeister, darum ist er in der Truppe. Boris war noch nie in dieser Bank. Das haben alles Arri und Wanda gemacht.«
»Wer ist Wanda?«
»Sie gehört auch zu dieser Gruppe. Aufenthaltsort unbekannt. Aber eins ist sicher: Wenn sie ihre Mitstreiter nicht erreichen kann, wird sie die Fliegende Bank auflösen. Beeilen Sie sich – vielleicht erwischen Sie sie noch im Andenkenladen. Wir sind mit den beiden Gefangenen schon unterwegs. In zwei Stunden sind wir da.«
Alle sprangen von ihren Stühlen auf.
»Das Neuner-Haus hat nur zwei Eingänge«, sagte Ostler. »Der Vordereingang liegt in der Fußgängerzone und führt direkt ins Geschäft. Auf der Rückseite des Hauses gibt es noch einen kleinen Hintereingang.«
»Kein Kellerausgang, keine Feuerleiter, die irgendwie ins Nebenhaus führt?«
»Nein, meines Wissens nicht.«
»Ostler und Maria, Sie beobachten den Hintereingang. Nicole, Sie gehen mit mir durchs Geschäft.«
69 .
»Hallo? Ist da jemand?«
Die Ladentür des Andenkenladens Neuner war unverschlossen, Nicole und Jennerwein traten ein. Überall stand Nippes herum, käufliche Andenken an einen unvergessenen Aufenthalt im Föhnland: Ein Aschenbecher, der das Werdenfelser Tal darstellen sollte. Der unvermeidliche Wolperdinger, diesmal holzgeschnitzt. Ein zwei Meter großes Eichhörnchen aus Porzellan.
»Hallo? Ist da jemand?«
Wieder keinerlei Reaktion. Sie sahen sich um. In der halben Stunde, in der sie den Laden vorher beobachtet hatten, waren nacheinander fünf oder sechs Leute hineingegangen und wieder herausgekommen. Niemand hatte das Eichhörnchen aus Porzellan gekauft.
»Hallo! Kundschaft! Ist niemand da?«
Abermals keine Reaktion. Jennerwein trat an den verwaisten Ladentisch und wies Nicole auf das große Schild hin, das dort gut sichtbar lag: KOMME GLEICH WIEDER .
»Das hängt man doch normalerweise an die Tür?«
»Außer man will, dass die Leute reinkommen und wieder rausgehen.«
»So dass es aussieht, als wäre der Laden geöffnet!«
Beide griffen zu den Waffen.
Am Hintereingang des Neuner-Hauses lauerten Maria Schmalfuß und Johann Ostler. Sie hatten sich in einiger Entfernung von der Tür postiert, gut versteckt in einem zugigen Hausdurchgang.
»Jetzt frage ich einmal Sie als Einheimischen«, sagte Maria, »Wie ist es möglich, dass sich so eine Fliegende Sparkasse mitten im Ort befindet – und überhaupt nicht auffällt?«
»Gerade dadurch fällt sie nicht auf!«, erwiderte Ostler. »Ein Einheimischer würde so einen Laden nie betreten, es sind ausschließlich Touristen, die da ein- und ausgehen. Touristen sind auffällig, bunt und schrill, man kennt niemanden von denen, da fällt ein internationaler Waffenhändler, wenn er sich nicht ganz dumm anstellt, überhaupt nicht auf.«
»Und die Besitzerin macht bei so etwas mit?«
»Die Neunerin? Anscheinend. Das hätte ich allerdings nicht von ihr gedacht. Aber jetzt warten wir erst einmal ab, ob es überhaupt wahr ist, was dieser Boris ausgeplaudert hat.«
»Frau Neuner steht selbst im Laden?«
»Meistens. Aber sie hat auch ein paar Aushilfen. Ich habe die Frau Neuner vor ein paar Wochen getroffen, wir haben ein wenig miteinander geplaudert. Dabei habe ich gefragt, wie die Geschäfte so laufen. Mal so, mal so, hat sie geantwortet. Wie man halt so redet. Die brave Frau Neuner – verkauft eine gute Werdenfelser Adresse an internationale Waffenhändler. So was!«
Sie hoben die Thekenklappe hoch, gingen hinter den Ladentisch und spähten ins Hinterzimmer.
»Sollen wir die Ladentüre zusperren?«, fragte Nicole leise.
»Nein, die lassen wir auf.
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