Oberwasser
war nicht überrascht, er hatte so etwas schon erwartet. Ein Händler würde ja auch wohl kaum sagen:
Oh, der Wahnsinn. Mann! Her mit der Scherbe, ich zahle jeden Preis!
Es war auch gar nicht wichtig, ob die Münze wertvoll war oder nicht. Die Gravur, die Kritzelei, die Bibelstelle interessierte ihn. Aber er musste Herkunftsgebiet und Prägezeit herausbekommen, das nämlich hatte er im Netz nicht recherchieren können. Der Händler schob die Blätter wieder über den Tisch.
»Sie sind enttäuscht, junger Freund. Ich sehe schon, Sie brauchen eine kleine Taschengeld-Aufbesserung. Bringen Sie mir die Münze, ich gebe Ihnen zehn Euro dafür. Das ist natürlich viel zu viel! Das mache ich nur, weil ich heute so gut drauf bin. Ich werde mehr Arbeit mit dem Geldstück haben als es wert ist. Es ist ziemlich verschmutzt, ich muss es reinigen, muss nachprüfen, ob es echt ist –«
»Können Sie mir denn sagen, woher die Münze kommt? Und aus welcher Zeit sie ungefähr stammt?«
Krapf wollte ihm gerade noch etwas Trinkgeld für solch eine schnelle Expertise anbieten, doch der Händler hatte seine Brille aufgesetzt und betrachtete jetzt die Kopien genauer. Er verweilte länger an einer bestimmten Stelle.
»Was ist denn das für ein Fleck?«
Krapf erschrak. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
»Was für ein Fleck? Zeigen Sie mal her. Ach ja, da, ein Fleck. Komisch, den habe ich noch gar nicht gesehen.«
»Da hat jemand etwas – wie sagt man –
abrillantar
– wegpoliert.«
»Und wo kommt sie her?«, fragte Krapf schnell, um von dem Fleck abzulenken.
»Es ist ein spanischer Silber-Escudo aus der Grafschaft Aragon. Er ist in den Prägestätten von Navarra gepresst worden. Die gibt es massenweise. Also wie gesagt: zehn Euro. Wissen Sie was: Ich gebe Ihnen zwanzig.«
»Das verstehe ich jetzt nicht. Hier sehen Sie, diese Prägung, da steht: E…hr…e d…ts…hs V…terl…d.«
Und wieder erschien vor allem das Vaterland ziemlich zerquetscht.
»Das ist doch eine deutsche Münze«, sagte Krapf entrüstet. »Was erzählen Sie mir Stories vom Grafen von Aragon?«
Der Münzhändler verzog keine Miene.
»Aber wissen Sie denn das nicht?«, sagte er und gab Oliver Krapf das Gefühl, der letzte unwissende Nulltklassler zu sein, der keinen, aber auch wirklich gar keinen Peil hatte.
»Was soll ich nicht wissen?«
»Der Graf von Aragon hatte, durch geschickte Heirat seiner Vorfahren, Besitzungen in Baden-Württemberg. Die Adelsgeschlechter von Navarra und die Baden-Württemberger haben in den Jahren 1790 und 1791 gemeinsame Münzen gedruckt. Sozusagen als Vorgriff auf ein vereintes Europa.«
»Tatsächlich?«, sagte Oliver skeptisch. Das hier führte doch zu nichts, er musste das Ganze von zu Hause aus erledigen. Dieser Sportsfreund hier verarschte ihn ganz gewaltig, und weiterhelfen konnte er ihm auch nicht. Krapf vermutete, dass er diese Münze gar nicht kannte, er war vermutlich auch kein Numismatiker, er war der Hausmeister der Münzgroßhandlung Juan Padilla, der hier versuchte, einen dummen Touristen zu bamboozeln.
»Na gut, ich werde Ihnen das Geldstück bringen«, log er. Er nahm die Kopien, um sie einzustecken.
»Nein, bitte, lassen Sie die Blätter ruhig da«, sagte der Händler, eine Idee zu hastig, wie es Krapf vorkam.
»Ich will sie aber lieber mitnehmen.«
»Schade, ich dachte –«
Oliver Krapf verabschiedete sich. Nachdem er das kleine Büro verlassen hatte, griff der Händler sofort nach dem Telefon und sagte etwas von rápidamente und lo más pronto posible.
Der Überfall kam blitzartig und professionell. Schon an einer der nächsten Straßenecken, an der zwei kleine Gässchen aufeinanderstießen, raste ein Mopedfahrer mit überklebtem Nummernschild und geschlossenem Visier auf ihn zu, bremste und drehte scharf bei. Er stieß ihn gegen die Wand und bedrohte ihn mit einem Springmesser. Die Beifahrerin sprang vom Rücksitz, zückte eine Haushaltsschere und schnitt ihm damit blitzschnell die Schnur des Brustbeutels durch. Dann rasten beide mit der Beute davon. Krapf hatte keine Gelegenheit gehabt, zu reagieren. Er hatte sich nicht gewehrt. Oliver Krapf atmete tief durch und entspannte sich. Dieser geraubte Brustbeutel hatte nichts Wertvolles enthalten, er hatte im Urlaub lediglich den Zweck, einen eventuellen Dieb von der eigentlichen Brieftasche abzulenken, die er in der Jackeninnentasche trug. Er hatte von diesem Trick einmal irgendwo im Netz gelesen. Wenn aber die Diebe den Beutel
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