Oblomow
schaut ihm nach, schließt das Zimmer zu und geht in die Küche.
»Er ist fort!« sagte er zu Anissja.
»Wird er zu Mittag essen?«
»Wer weiß?« antwortete Sachar schläfrig.
Sachar ist noch immer derselbe; er hat denselben großen Backenbart, ein unrasiertes Kinn, dieselbe graue Weste und das Loch im Rock, aber er ist mit Anissja verheiratet, entweder infolge des Bruches mit seiner Gevatterin oder nach dem Prinzip, daß jeder Mensch heiraten muß; er hat geheiratet, hat sich aber trotz des Sprichwortes nicht verändert.
Stolz hatte Oblomow mit Oljga und mit ihrer Tante bekanntgemacht. Als Stolz Oblomow zum erstenmal bei Oljgas Tante einführte, waren dort Gäste. Oblomow war es wie gewöhnlich bange und unbehaglich zumute. Es wäre angenehm, die Handschuhe auszuziehen, dachte er, im Zimmer ist es ja warm. Wie ungewohnt mir jetzt alles ist ...! Stolz setzte sich zu Oljga, die allein unter der Lampe in der Nähe des Teetisches saß, sich mit dem Rücken in den Sessel zurücklehnte und wenig darauf achtete, was um sie vorging. Stolzens Kommen hatte sie sehr erfreut; wenn ihre Augen auch nicht aufleuchteten und ihre Wangen nicht aufflammten, verbreitete sich doch ein gleichmäßiger, ruhiger Schein über ihr ganzes Gesicht und darauf erschien ein Lächeln. Sie nannte ihn ihren Freund, liebte ihn, weil er sie immer lachen machte und ihr die Langeweile vertrieb, fürchtete sich aber auch ein wenig, weil sie sich ihm gegenüber zu sehr als Kind fühlte. Wenn in ihr eine Frage, ein Zweifel aufstieg, entschloß sie sich nicht gleich, es ihm anzuvertrauen; er hatte ihr gegenüber einen zu großen Vorsprung erreicht, stand zu hoch über ihr, so daß ihre Eitelkeit manchmal unter dem Bewußtsein ihrer Unreife und des Unterschiedes zwischen ihrem Verstande und ihrem Alter litt. Stolz bewunderte sie auch ganz uneigennützig, als ein wunderbares Geschöpf mit einer duftenden Frische des Geistes und der Gefühle. Sie war in seinen Augen nur ein entzückendes Kind, das zu großen Hoffnungen berechtigte. Stolz unterhielt sich mit ihr aber lieber und öfter als mit an deren Frauen, weil sie, wenn auch unbewußt, einen einfachen, natürlichen Lebensweg verfolgte und dank ihrer glücklichen Natur und ihrer gesunden, ungekünstelten Erziehung selbst in jeder kaum sichtbaren Bewegung der Augen, der Lippen und der Hände nicht von der natürlichen Äußerung der Gedanken, der Gefühle und des Willens abwich. Vielleicht schritt sie mit einer solchen Sicherheit über diesen Weg, weil sie ab und zu andere, noch sicherere Schritte neben sich hörte, diejenigen ihres Freundes, dem sie glaubte, und dem sie ihren Schritt anpaßte. Wie dem auch sein mochte, konnte man doch selten bei einem Mädchen so viel Einfachheit und natürliche Freiheit des Blickes, der Worte und der Handlungen finden. In ihren Augen war nie zu lesen: »Jetzt werde ich ein wenig die Lippe einziehen und nachdenklich werden – das steht mir nicht übel. Ich werde hinblicken, erschrecken und leicht aufschreien, dann laufen alle gleich zu mir hin. Ich setze mich ans Klavier und strecke die Fußspitze ein wenig vor ...« Es war weder Geziertheit noch Koketterie noch Lüge noch Flitterwerk noch etwas Beabsichtigtes an ihr! Darum wurde sie aber auch fast nur von Stolz geschätzt; darum blieb sie mehr als eine Mazurka allein sitzen, ohne ihre Langeweile zu verbergen; darum wurden die liebenswürdigsten jungen Leute bei ihrem Anblick einsilbig, da sie nicht wußten, was und wie sie zu ihr sprechen sollten ... Die einen hielten sie für einfältig, für kurzsichtig und oberflächlich, weil ihren Lippen weder weise Sentenzen über das Leben und über die Liebe noch rasche, unerwartete und kühne Repliken noch aus den Büchern geschöpfte oder bei andern aufgeschnappte Urteile über Musik und Literatur entströmten; sie sprach wenig und nur, was ihrer Persönlichkeit entsprang, nichts Glänzendes – und sie wurde von den klugen, schlagfertigen »Kavalieren« gemieden; die nicht Schlagfertigen hielten sie im Gegenteil für zu gescheit und fürchteten sich ein wenig vor ihr. Nur Stolz sprach unaufhörlich mit ihr und machte sie lachen. Sie liebte die Musik, sang aber meistens, wenn sie allein war oder wenn Stolz oder eine Pensionsfreundin zugegen waren; sie sang aber, wie Stolz sagte, besser als jede Sängerin. Sowie Stolz sich neben sie gesetzt hatte, tönte durchs Zimmer ihr Lachen, das so klangvoll, so aufrichtig und ansteckend war, daß jeder, der es hörte, ohne den Grund zu
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