Oblomow
erlischt. Nein, mein Leben hat mit dem Erlöschen begonnen. Das ist seltsam, aber es ist so! Ich habe gleich im ersten Augenblicke, als mein Bewußtsein erwachte, gefühlt, daß ich schon erlösche. Ich habe beim Schreiben der Akten in der Kanzlei zu erlöschen begonnen; ich erlosch dann weiter, als ich in den Büchern Wahrheiten las, mit denen ich im Leben nichts anzufangen wußte; ich erlosch mit den Kameraden, indem ich ihren Gesprächen, ihrem Klatsch, dem Nachäffen, dem boshaften und kalten Plaudern und ihrer Leere lauschte, indem ich der Freundschaft zuschaute, die durch Zusammenkünfte ohne Spiel und Sympathie aufrechterhalten wurde, ich erlosch und vergeudete meine Kraft mit Mühe; ich habe ihr mehr als die Hälfte meines Einkommens gezahlt und habe mir eingebildet, daß ich sie liebe; ich erlosch während des trägen, geisttötenden Herumspazierens auf dem Newskij-Prospekt, inmitten von Bärenpelzen und Biberkragen, auf Abenden, an Empfangstagen, wo man mich als eine ganz annehmbare Partie gastfreundlich bewillkommnete; ich erlosch und gab das Leben und den Geist auf Kleinigkeiten aus, indem ich aus der Stadt aufs Land, vom Land in die Gorochowajastraße fuhr, den Frühling durch die Ankunft von Austern und Hummern, den Herbst und Winter durch die Empfangstage, den Sommer durch Spaziergänge und das ganze Leben ebenso wie die andern durch ein träges, bequemes Hindämmern bestimmte ... Worauf wurde selbst der Ehrgeiz verschwendet? Darauf, sich bei einem bekannten Schneider die Kleider zu bestellen? In einem vornehmen Hause zu verkehren? Darauf, daß Fürst P. mir die Hand drückte? Und der Ehrgeiz ist ja das Salz des Lebens! Worauf wurde er verwendet? Entweder, ich habe dieses Leben nicht begriffen, oder es taugt nicht, ich habe nichts Besseres gekannt oder gesehen, niemand hat es mir gezeigt. Du bist erschienen und hell und rasch verschwunden wie ein Komet, und ich vergaß alles und erlosch ...«
Stolz beantwortete Oblomows Worte nicht mehr mit einem verächtlichen Lächeln. Er hörte zu und schwieg düster.
»Du hast vorhin gesagt, daß mein Gesicht nicht ganz frisch ist«, sprach Oblomow weiter, »ja, ich bin welk, alt, abgenützt, aber nicht vom Klima, nicht von der Arbeit, sondern weil in mir zwölf Jahre lang das Licht eingeschlossen war, das nach Ausbruch rang, aber sein Gefängnis nur verbrannte, ohne in die Freiheit zu gelangen, und erlosch. Es sind also zwölf Jahre vergangen, mein lieber Andrej; ich wollte schon nicht mehr erwachen.«
»Warum hast du dich denn nicht losgerissen und bist nicht irgendwohin geflohen, sondern bist schweigend zugrunde gegangen?« fragte Stolz ungeduldig.
»Wohin?«
»Wohin? Wenigstens mit deinen Bauern an die Wolga. Auch dort ist ja mehr Bewegung, dort gibt es irgendwelche Interessen, ein Ziel, eine Arbeit. Ich würde nach Sibirien gereist sein ...«
»Du schreibst immer solche starke Mittel vor!« bemerkte Oblomow traurig. »Bin ich denn der einzige? Schau nur: Michailow, Pjetrow, Ssemjonow, Stjepanow ... Es ist nicht zu zählen – es ist eine Legion!«
Stolz stand noch unter dem Eindrucke dieser Beichte und schwieg. Dann seufzte er.
»Ja, es ist viel Wasser ins Meer geflossen!« sagte er. »Ich werde dich so nicht zurücklassen, ich werde dich von hier fortführen, zuerst ins Ausland, und dann ins Dorf. Du wirst ein wenig abnehmen, wirst deinen Spleen verlieren, und dann finden wir für dich eine Beschäftigung ...«
»Ja, wir wollen irgendwohin fahren!« rief Oblomow aus.
»Morgen werden wir ein Gesuch um einen ausländischen Paß für dich einreichen und werden dann unsere Reisevorbereitungen treffen ... Ich werde nicht davon ablassen, Ilja, hörst du?«
»Bei dir ist alles morgen!« entgegnete Oblomow, der aus den Wolken zu fallen schien.
»Du möchtest das, was heute getan werden kann, nicht auf morgen verschieben? Hast du solche Eile! Heute ist es zu spät«, fügte Stolz hinzu, »aber in vierzehn Tagen werden wir schon weit sein ...«
»Aber Bruder, schon in vierzehn Tagen, habe doch ein Einsehen, so plötzlich! ...« sagte Oblomow. »Laß mir Zeit, mir das zu überlegen und mich vorzubereiten ... Man muß sich doch irgendeinen Tarantaß aussuchen ... Vielleicht in drei Monaten.«
»Von was für einem Tarantaß fabelst du da? Wir fahren im Postwagen zur Grenze hin, oder auf dem Dampfschiffe bis Lübeck, wie es bequemer sein wird, und dann fährt an vielen Orten die Eisenbahn.«
»Und die Wohnung, Sachar und Oblomowka? Ich muß doch erst alles
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