Oblomow
sie ins Gefängnis. Man hört in Ihren Erzählungen nicht die unsichtbaren Tränen, sondern nur sichtbares, rohes Lachen und Zorn ...«
»Was braucht man denn noch? Das ist ja ausgezeichnet, Sie haben es ja selbst ausgesprochen: Dieser flammende Zorn, das gallige Verfolgen des Lasters, das verächtliche Lachen dem gefallenen Menschen gegenüber ... darin ist ja alles!«
»Nein, nicht alles!« ereiferte sich plötzlich Oblomow. »Schildere einen Dieb, ein gefallenes Weib, einen aufgeblasenen Narren, vergiß aber dabei nicht den Menschen. Wo ist denn die Menschlichkeit? Ihr wollt nur mit dem Kopf schreiben?« sagte Oblomow fast zischend. »Ihr glaubt, man braucht beim Denken kein Herz zu haben? Nein, der Gedanke wird durch die Liebe befruchtet. Reicht dem gefallenen Menschen die Hand, um ihn aufzurichten, oder weint bitterlich über ihn, aber verhöhnt ihn nicht. Liebt ihn, denkt bei ihm an euch selbst und behandelt ihn wie euch selbst, dann werde ich beginnen, euch zu lesen, und werde vor euch mein Haupt neigen ...« sagte er und legte sich wieder bequem auf das Sofa hin. »Sie schildern einen Dieb, ein gefallenes Weib«, sagte er, »und vergessen, den Menschen zu schildern, oder Sie können es nicht. Was ist denn das für eine Kunst, was für poetische Farben haben Sie dabei herausgefunden? Verfolgt das Laster, den Schmutz, aber bitte, ohne Anspruch auf Poesie.«
»Wollen Sie also die Natur dargestellt haben? Rosen, die Nachtigall oder einen frostigen Morgen, während alles um Sie herum braust und wirbelt? Wir brauchen die nackte Physiologie der menschlichen Gesellschaft; wir sind jetzt nicht zu Liedern aufgelegt ...«
»Gebt mir den Menschen, den Menschen!« sagte Oblomow, »liebt ihn ...«
»Den Wucherer, den Heuchler, den diebischen oder stumpfsinnigen Beamten lieben – hören Sie! Was sagen Sie da? Man sieht, daß Sie sich nicht mit Literatur befassen!« sagte Pjenkin erregt. »Nein, man muß sie strafen, aus der Mitte der Bürger, aus der Gesellschaft ausstoßen ...«
»Sie aus der Mitte der Bürger ausstoßen!« begann plötzlich Oblomow voll Begeisterung, sich vor Pjenkin erhebend, »das heißt vergessen, daß in diesem schlechten Gefäß ein höherer Ursprung eingeschlossen war; daß er ein verderbter Mensch, aber doch immerhin ein Mensch, das heißt einer wie ihr ist. Ausstoßen! Und wie wollt ihr ihn aus dem Kreise der Menschheit, aus dem Schoße der Natur, aus Gottes Barmherzigkeit ausstoßen?« schrie er fast mit flammenden Augen.
»Sie übertreiben aber!« sagte Pjenkin, an den jetzt die Reihe zu erstaunen gekommen war.
Oblomow sah, daß auch er zu weit gegangen war. Er verstummte plötzlich, blieb eine Weile stehen, gähnte und legte sich langsam auf das Sofa nieder.
Sie schwiegen beide.
»Was lesen Sie denn?« fragte Pjenkin.
»Ich? ... meistens Reisebeschreibungen.«
Ein erneutes Schweigen.
»Werden Sie also das Poem lesen, wenn es erscheint? Ich würde es Ihnen bringen ...« sagte Pjenkin.
Oblomow schüttelte verneinend den Kopf.
»Dann werde ich Ihnen meine Erzählung schicken!«
Oblomow nickte zum Zeichen der Zustimmung.
»Jetzt muß ich aber in die Druckerei!« sagte Pjenkin. »Wissen Sie, warum ich zu Ihnen gekommen bin? Ich wollte Ihnen den Vorschlag machen, mit mir nach Jekaterinhof zu fahren; ich habe einen Wagen. Ich muß morgen einen Artikel über den Korso schreiben; wir würden zusammen beobachten, wenn mir etwas entginge, würden Sie es mir mitteilen; das wäre lustiger. Kommen Sie mit ...«
»Nein, ich bin unwohl«, sagte Oblomow, das Gesicht verziehend und sich in die Decke einhüllend; »ich fürchte die Feuchtigkeit, es ist jetzt noch nicht trocken. Kommen Sie aber heute zum Mittagessen; wir würden miteinander einiges besprechen ... Mir ist ein doppeltes Unglück passiert ...«
»Nein, unsere ganze Redaktion versammelt sich heute im Restaurant Saint-Georges, von dort aus fahren wir zum Korso. Und in der Nacht muß ich schreiben und beim Morgengrauen in die Druckerei schicken. Auf Wiedersehen!«
»Auf Wiedersehen, Pjenkin!«
In der Nacht schreiben, dachte Oblomow, wann soll man denn schlafen? Er verdient aber sicher fünftausend jährlich! – Das ist ein Brot! Aber immer schreiben, seine Gedanken, seine Seele auf Kleinigkeiten ausgeben, die Überzeugungen ändern, mit dem Verstande und der Phantasie Handel treiben, seine Natur vergewaltigen, sich aufregen, immer glühen und entflammt sein, keine Ruhe kennen und sich immer weiter bewegen ... Und immer schreiben,
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