Oblomow
immer schreiben, wie ein Rad, wie eine Maschine: morgen, übermorgen; es kommen Feiertage, es kommt der Sommer, und er muß immer schreiben! Wann soll man da stehenbleiben und ausruhen? Der Unglückliche!
Er wandte den Kopf zum Tische hin, wo alles leer war, wo das ausgetrocknete Tintenfaß stand und keine Feder zu sehen war, und freute sich, daß er sorglos wie ein neugeborenes Kind dalag, sich nicht mit so viel Dingen zu befassen und sich nicht zu verkaufen brauchte. »Und der Brief des Dorfschulzen und die Wohnung?« erinnerte er sich plötzlich und wurde nachdenklich.
Jetzt aber ertönte wieder ein Läuten.
»Bei mir ist ja heute der reinste Jour!« sagte Oblomow und wartete, wer eintreten würde.
Es kam ein Mann von unbestimmtem Alter mit einem indifferenten Gesicht herein; er befand sich in einer Periode, in der es schwer ist, die Zahl der Jahre zu bestimmen; er war nicht schön und nicht häßlich, nicht groß und nicht klein gewachsen, weder blond noch brünett. Die Natur hatte ihm keinen einzigen ausgeprägten, bemerkbaren Zug verliehen, weder einen bösen noch einen guten. Viele nannten ihn Iwan Iwanitsch, andere – Iwan Wassiljitsch und noch andere Iwan Michailitsch. Sein Familienname wechselte auch beständig; manche sagten, er hieße Iwanow, andere nannten ihn Wassiljew oder Andrejew, noch andere Alexejew. Ein Fremder, der ihn zum ersten Male sah und dem man seinen Namen nannte, merkte sich weder diesen noch das Gesicht; er merkte sich auch nicht, was er sagte. Seine Anwesenheit bietet der Gesellschaft gar nichts, ebenso wie seine Abwesenheit ihr nichts raubt. Sein Geist besitzt weder Scharfsinn noch Originalität, noch sonst welche hervorragenden Eigenschaften, ebenso wie seinem Körper besondere Merkmale fehlen. Er hätte vielleicht das, was er gesehen und gehört hat, erzählen können und die Anwesenden wenigstens auf diese Weise amüsieren, er kam aber nirgends hin; seit er in Petersburg geboren wurde, fuhr er nirgends hin, er sah und hörte folglich nur das, was auch den anderen bekannt war. Ist ein solcher Mensch sympathisch? Liebt er? Haßt er? Leidet er? Er müßte doch lieben und nicht lieben und leiden, da ja niemand davon befreit wird. Er bringt es aber zuwege, alle zu lieben. Es gibt Menschen, in denen man, so sehr man sich auch abmüht, unmöglich Widerspruchsgeist oder Rachedurst usw. hervorrufen kann. Man mag mit ihnen tun, was man will, sie bleiben immer zärtlich. Obwohl man von solchen Menschen sagt, daß sie alle lieben und infolgedessen gut sind, lieben sie doch im Grunde niemand und sind nur darum gut, weil sie nicht böse sind. Wenn andere in seiner Anwesenheit einem Bettler ein Almosen geben, wirft auch er ihm einen Nickel hin, wenn sie den Bettler aber beschimpfen, ihn fortjagen oder verhöhnen, wird auch er mit den anderen schimpfen und höhnen. Man kann ihn nicht reich nennen, weil er nicht reich, sondern eher arm ist; man kann ihn aber auch nicht ausgesprochen arm nennen; übrigens nur darum nicht, weil es noch viel ärmere Menschen gibt als ihn. Er bezieht von irgendwo ein Einkommen von dreihundert Rubel jährlich, außerdem hat er eine mittelmäßige Anstellung und bekommt ein mittelmäßiges Gehalt; er leidet nicht Not und borgt bei niemand Geld, und es fällt niemand ein, bei ihm zu borgen. In seinem Amte wird ihm keine bestimmte, ständige Beschäftigung zugewiesen, weil weder seine Kollegen noch seine Chefs es auf irgendeine Weise herauszubringen vermögen, was er schlechter und was er besser ausführt, um beurteilen zu können, wozu er eigentlich befähigt ist.
Sein Erscheinen auf der Welt wurde wohl kaum von irgend jemand außer von seiner Mutter bemerkt; sehr wenige bemerken ihn während seines Lebens; es wird wohl aber niemand bemerken, wie er aus der Welt verschwinden wird, niemand wird fragen, sein Bedauern ausdrücken, aber auch niemand wird sich über seinen Tod freuen. Er hat weder Feinde noch Freunde, aber eine Menge Bekannte. Vielleicht wird sein Leichenzug die Aufmerksamkeit des Passanten auf sich lenken, der dieser unbestimmten Persönlichkeit durch eine tiefe Verbeugung die ihr zum ersten Male zuteil werdende Ehrenbezeugung erweisen wird; vielleicht wird sogar ein Neugieriger der Prozession nachlaufen, um den Namen des Toten zu erfahren, den er sogleich wieder vergißt.
Dieser ganze Alexejew, Wassiljew, Andrejew, oder wie Sie sonst wollen, daß er heißt, ist ein unvollständiger, unpersönlicher Abklatsch der Masse, ihr dumpfer Widerhall und
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