Oblomow
Blitze.
»Nie! Nie! Kommen Sie nicht näher,« sagte sie erschrocken und fast entsetzt, beide Hände und den Schirm zwischen ihn und sich haltend, und blieb wie erstarrt und versteinert, ohne zu atmen, in einer drohenden Stellung und mit drohendem Blick halb abgewendet stehen.
Er beruhigte sich plötzlich; vor ihm stand nicht die sanfte Oljga, sondern die gekränkte Göttin des Stolzes und Zornes, mit aufeinandergepreßten Lippen und flammenden Augen.
»Verzeihung! ...« flüsterte er verlegen und vernichtet.
Sie wandte sich langsam um und ging weiter, indem sie ängstlich über die Schulter zu ihm hinüberschielte. Er unternahm aber nichts; er ging langsam, wie ein Hund, der seinen Schweif hängen läßt, nachdem man ihn gescholten hat. Sie wollte ihren Schritt beschleunigen; als sie aber sein Gesicht sah, unterdrückte sie ein Lächeln und ging ruhiger, zitterte nur ab und zu. Der rosige Fleck erschien auf der einen Wange, verschwand und erschien dann auf der zweiten. Je weiter sie ging, desto heller wurde ihr Gesicht, desto seltener und ruhiger atmete sie, und sie machte wieder gleichmäßige Schritte.
Sie sah, wie heilig ihr »Nie!« für Oblomow war; ihr Zorn legte sich allmählich und machte dem Mitleid Platz. Sie ging immer langsamer und langsamer ... Sie wollte ihre Zurückweisung mildern; sie suchte nach einem Vorwande, ihn anzureden.
Ich habe alles verhunzt! Jetzt habe ich den größten Fehler begangen! Nie! O Gott! Der Flieder ist verwelkt! dachte er, auf die herabhängenden Zweige blickend. Das Gestern und auch der Brief sind verblaßt, und dieser Augenblick, der schönste meines Lebens, da eine Frau mir gleich einer Stimme vom Himmel zum ersten Male gesagt hat, was es in mir Gutes gibt, ist auch verblaßt ... Er blickte Oljga an – sie stand und wartete mit gesenkten Augen auf ihn.
»Geben Sie mir den Brief! ...« sagte sie leise.
»Er ist verblaßt!« antwortete er traurig, ihr den Brief reichend.
Sie ging wieder nahe an ihn heran und neigte den Kopf noch mehr; ihre Lider waren ganz gesenkt ... Sie zitterte fast. Er gab den Brief zurück; sie hob den Kopf nicht und trat nicht zurück.
»Sie haben mich erschreckt,« fügte sie sanft hinzu.
»Verzeihen Sie, Oljga,« murmelte er. Sie schwieg.
»Dieses zornige ›Nie!‹ ...« sagte er traurig und seufzte.
»Wird verblassen!« flüsterte sie kaum hörbar und errötete. Sie warf ihm einen verschämten, freundlichen Blick zu, faßte seine beiden Hände, preßte sie fest zwischen den ihrigen zusammen und legte sie auf ihr Herz.
»Hören Sie, wie es klopft!« sagte sie; »Sie haben mich erschreckt! Lassen Sie mich fort!«
Und sie wandte sich, ohne ihn anzublicken, um und lief über den Weg hin, indem sie das Kleid vorne ein wenig aufhob.
»Wohin eilen Sie?« fragte er. »Ich bin müde und kann Sie nicht einholen ...«
»Lassen Sie mich. Ich laufe singen, singen, singen! ...« sagte sie mit glühendem Gesicht. »Mir ist die Brust benommen, sie tut mir fast weh!«
Er blieb stehen und blickte ihr lange wie einem fortfliegenden Engel nach.
»Ist's denn möglich, daß auch dieser Augenblick verblassen wird?« fragte er fast traurig und fühlte selbst nicht, ob er ging oder auf demselben Fleck stand. Der Flieder ist verwelkt! dachte er, das Gestern ist vorüber und auch die Nacht mit ihren Gespenstern und dem Alpdrücken ist vorüber ... Ja! Und dieser Augenblick wird wie der Flieder verblassen! Aber während die heutige Nacht vorüberging, blühte schon der jetzige Morgen auf ... »Was ist denn das?« sagte er laut und verloren; – und auch die Liebe ... die Liebe! Und ich dachte, sie schwebte wie ein heißer Mittag über den Liebenden, und nichts bewegte sich, nichts atmete in ihrer Atmosphäre; es ist aber auch in der Liebe keine Ruhe, auch sie verändert sich immer, bewegt sich immer und immer nach vorwärts ... »wie das ganze Leben!« pflegte Stolz zu sagen. Und der Josua, der ihr zugerufen hätte: »Bleibe stehen und bewege dich nicht!« ist noch nicht auf die Welt gekommen! Was wird morgen sein? fragte er sich angstvoll, und er ging sinnend und träge nach Hause. Als er an Oljgas Fenstern vorbeischritt, hörte er, wie ihre beengte Brust sich in Schuberts Liedern Luft machte, als schluchzte sie vor Glück.
Mein Gott! Wie schön ist es auf Erden zu leben!
Elftes Kapitel
Oblomow fand zu Hause einen Brief von Stolz vor, der mit den Worten »Jetzt oder nie!« begann und schloß; darin wurde ihm seine Unbeweglichkeit vorgeworfen; er wurde
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