Oblomow
nicht ...«
Er ließ ihre Hand los. Wieder war der Dolch auf ihn gezückt.
»Wieso wissen Sie das nicht? Fühlen Sie es denn nicht?« fragte er wieder mit dem Ausdruck von Zweifel im Gesicht – »glauben Sie denn? ...«
»Ich glaube nichts; ich habe Ihnen gestern gesagt, was ich fühle, ich weiß aber nicht, was in einem Jahre sein wird. Gibt es denn nach dem einen Glück ein zweites, dann ein drittes ebensolches?« fragte sie, ihn mit weit offenen Augen anblickend. »Sprechen Sie, Sie sind erfahrener als ich.«
Doch er wollte sie in dieser Meinung nicht mehr bekräftigen und schwieg, mit der Hand einen Akazienbaum wiegend.
»Nein, man liebt nur einmal,« wiederholte er wie ein Schulknabe den auswendig gelernten Satz.
»Sehen Sie; auch ich glaube daran,« fügte sie hinzu. »Wenn es aber nicht so ist, werde ich Sie vielleicht einmal nicht mehr lieben, und mein Irrtum wird sowohl mir als Ihnen weh tun; wir werden uns dann vielleicht trennen! ... Zwei-, dreimal lieben ... nein, nein ... Ich will daran nicht glauben!«
Er seufzte. Dieses »vielleicht« schnitt ihm ins Herz, und er schlich ihr sinnend nach. Doch es wurde ihm mit jedem Schritt leichter ums Herz; aller Irrtum, den er sich in der Nacht ausgedacht hatte, lag in so ferner Zukunft ... Nicht die Liebe allein, sondern das ganze Leben ist ja so ... fiel es ihm plötzlich ein; und wenn man jeden Zufall als einen Irrtum von sich stößt, wo bleibt dann das Wahre? Was ist denn mit mir? Bin ich denn blind ...
»Oljga,« sagte er, ihre Taille leicht mit zwei Fingern berührend (sie blieb stehen), »Sie sind klüger als ich.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, einfacher und dreister. Wovor fürchten Sie sich? Glauben Sie denn ernstlich daran, daß man zu lieben aufhören kann?« fragte sie mit stolzer Gewißheit.
»Jetzt fürchte ich mich auch nicht!« sagte er mutig. »Mit Ihnen ist für mich kein Schicksal schrecklich!«
»Diese Worte habe ich unlängst irgendwo gelesen ... ich glaube bei Sue,« sagte sie ironisch, sich zu ihm umwendend, »aber dort sagt sie eine Frau zu ihrem Mann ...«
Oblomow stieg das Blut ins Gesicht.
»Oljga! Lassen Sie alles wieder wie gestern sein,« flehte er, »ich werde mich vor keinen ›Irrtümern‹ mehr fürchten.«
Sie schwieg.
»Ja?« fragte er schüchtern.
Sie schwieg.
»Nun, wenn Sie nicht sprechen wollen, dann geben Sie mir irgendein Zeichen ... einen Fliederzweig ...«
»Der Flieder ist schon vorüber und verblüht,« antwortete sie. »Schauen Sie, wie er jetzt ist; ganz welk.«
»Welk, verblüht!« wiederholte er, den Flieder anblickend. »Auch der Brief ist vorüber!« sagte er plötzlich.
Sie schüttelte verneinend den Kopf. Er folgte ihr und grübelte über den Brief, über das gestrige Glück und den verwelkten Flieder.
Der Flieder welkt wirklich hin! dachte er. Wozu war dieser Brief? Warum habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen und des Morgens geschrieben? Wie ruhig es mir jetzt wieder ums Herz ist ... (er gähnte) ... ich bin furchtbar schläfrig. Und wenn der Brief nicht wäre, wäre auch das alles nicht so gekommen; sie hätte nicht geweint und alles wäre wie gestern; wir würden hier still in der Allee sitzen, einander anblicken und von Glück sprechen. Und heute wäre es ebenso und auch morgen ... Er gähnte mit weit offenem Mund.
Dann fiel es ihm ein, was wohl geschehen wäre, wenn der Brief sein Ziel erreicht hätte, wenn sie seinen Gedanken teilen und sich wie vor Irrtümern und entfernten künftigen Gewittern fürchten würde; wenn sie auf seine sogenannte Erfahrenheit und Vernunft gehört und eingewilligt hätte, sich von ihm zu trennen und ihn zu vergessen? O Gott! Er müßte dann Abschied nehmen und in die Stadt, in die neue Wohnung fahren! Dann würde auf diesen Tag eine lange Nacht, ein langweiliger Morgen, ein unerträgliches Übermorgen und eine Reihe immer farbloserer Tage folgen. Wie wäre das möglich? Das ist ja der Tod! Und es wäre so gekommen! Er wäre krank geworden. Er wollte ja gar keine Trennung, er hätte sie nicht ertragen, er wäre zu ihr gekommen und hätte sie angefleht zu bleiben. Warum habe ich denn den Brief geschrieben? fragte er sich.
»Oljga Sjergejewna!« sagte er.
»Was denn!«
»Ich muß zu allen meinen Geständnissen noch eines hinzufügen ...«
»Was für eins?«
»Der Brief war ja ganz unnötig ...«
»Das ist nicht wahr, er war unumgänglich notwendig.«
Sie schaute sich um und lachte, als sie sah, was für ein Gesicht er machte, wie seine
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