Oblomow
Jahren, seit ich in der Kanzlei bin, gesammelt? Man kann damit auf der Wiborgskajastraße wohnen, ohne sich auf Gottes Welt blicken zu lassen; ich habe zwar einen anständigen Bissen erwischt, ich darf nicht klagen, mein Brot wird nicht gar werden! Aber die Zeit, da man sich eine Wohnung auf der Litejnaja mieten, Teppiche kaufen, eine Reiche heiraten und die Kinder zu vornehmen Leuten machen konnte, ist vorüber! Jetzt paßt ihnen auf einmal mein Gesicht nicht, und meine Finger sind zu rot, man soll keinen Schnaps trinken ... Wie sollte man aber keinen trinken? Versuch's einmal! Sie sagen, ich sei ärger als ein Lakai; jetzt trägt selbst ein Lakai keine solchen Stiefel und wechselt täglich das Hemd. Jetzt ist eine ganz andere Erziehung – die Grünschnäbel reißen einem alles vor der Nase fort; sie machen Grimassen, lesen und sprechen französisch ...«
»Sie verstehen aber nichts vom Geschäft«, fügte Tarantjew hinzu.
»Nein, Bruder, sie verstehen schon was; die Geschäfte sind ja jetzt anders geworden; ein jeder will die Sache möglichst einfach betreiben, und alle schaden uns. Es ist unnötig, so zu schreiben; das sei überflüssige Arbeit und Zeitverlust; es könnte schneller gemacht werden ... sie schaden uns!«
»Der Kontrakt ist aber unterschrieben; das haben sie uns nicht verdorben!« sagte Tarantjew.
»Das ist natürlich unantastbar. Trinken wir, Gevatter! Jetzt wird er den Satjortij nach Oblomowka schicken, er wird das Gut ein wenig aussaugen; dann kann es für die Erben bleiben ...«
»Ja, dann sollen sie es behalten!« bemerkte Tarantjew.
»Aber was sind das für Erben; in dritter Linie.«
»Ich fürchte mich nur vor der Hochzeit!« sagte Iwan Matwejewitsch.
»Fürchte dich nicht, sag ich dir. Denke an meine Worte.«
»Ist's wahr?« erwiderte Iwan Matwejewitsch fröhlich.
»Er glotzt meine Schwester an ...« fügte er flüsternd hinzu.
»Was sagst du?«
»Schweig nur, es ist, bei Gott, wahr ...«
»Na, weißt du, Bruder«, wunderte sich Tarantjew, mit Mühe zu sich kommend, »mir wäre das nicht im Traume eingefallen! Nun, und wie verhält sie sich dazu?«
»Wie sie sich verhält? Du kennst sie ja, so ist sie!«
Er schlug mit der Faust über den Tisch.
»Kann sie denn ihren Nutzen wahren? Sie ist eine Kuh, eine wahre Kuh; man kann sie schlagen oder umarmen, und sie grinst immer wie ein Pferd, das Hafer sieht. Wenn's eine andere wäre, o je! Ich werde das aber nicht aus dem Auge verlieren – verstehst du, was das bedeutet?«
Elftes Kapitel
Vier Monate! Noch vier Monate unfrei sein, heimlich zusammenkommen, mißtrauisch lächelnden Gesichtern begegnen! dachte Oblomow, die Treppe zu Iljinskys erklimmend. Mein Gott, wann wird das enden? Und Oljga wird mich zur Eile antreiben: heute, morgen. Und sie ist so beharrlich und unerschütterlich!
Oblomow war fast bis in Oljgas Zimmer gedrungen, ohne irgendwem zu begegnen. Oljga saß in ihrem kleinen Salon, der an ihr Schlafzimmer stieß, und war in das Lesen eines Buches vertieft. Er erschien plötzlich vor ihr, so daß sie zusammenfuhr, dann streckte sie ihm freundlich lächelnd die Hand hin, doch ihre Augen schienen noch das Buch zu Ende zu lesen, sie blickten zerstreut.
»Du bist allein?« fragte er sie.
»Ja, ma tante ist nach Zarskoje Selo gefahren; sie wollte mich mitnehmen. Wir werden fast allein zu Mittag essen; es kommt nur Marja Sjemjonowna; sonst hätte ich dich nicht empfangen können. Heute kannst du noch nicht mit der Tante sprechen. Wie langweilig das alles ist! Aber dafür morgen ...« fügte sie lächelnd hinzu. »Und was würdest du sagen, wenn ich heute nach Zarskoje Selo mitgefahren wäre?« fragte sie scherzend.
Er schwieg.
»Hast du Sorgen?« fragte sie.
»Ich habe einen Brief vom Gut bekommen«, sagte er mit eintöniger Stimme.
»Wo ist er? Hast du ihn hier?«
Er reichte ihr den Brief.
»Ich kann das gar nicht entziffern«, sagte sie, den Brief anblickend.
Er nahm ihn zurück und las ihn ihr vor. Sie sann nach.
»Was wird jetzt geschehen?« fragte sie nach einer Weile.
»Ich habe heute den Bruder der Hausfrau um Rat gefragt«, antwortete Oblomow, »und er hat mir einen Sachverständigen, Issaj Fomitsch Satjortij, empfohlen; ich werde ihn beauftragen, das alles zu erledigen ...«
»Einen wildfremden Menschen!« erwiderte Oljga erstaunt. »Du willst ihm das Einheben der Abgaben, das Beaufsichtigen der Bauern und das Verkaufen des Getreides anvertrauen ...«
»Er sagt, daß er der ehrlichste Mensch von der
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