Oblomow
Welt ist, er arbeitet mit ihm seit zwölf Jahren zusammen ... Er stottert nur ein wenig.«
»Und wie ist denn der Bruder deiner Hausfrau? Kennst du ihn?«
»Nein, er scheint aber ein solider, tüchtiger Mann zu sein, und dann wohne ich ja bei ihm im Hause; da würde er sich wohl schämen, mich zu betrügen!«
Oljga schwieg mit gesenkten Augen.
»Sonst müßte ich selbst hinfahren«, sagte Oblomow, »und das wäre mir, offen gesagt, unangenehm. Ich bin das Reisen gar nicht mehr gewöhnt, besonders im Winter ... Da bin ich überhaupt nie irgendwohin gefahren.«
Sie blickte noch immer nach unten, indem sie die Spitze ihres Schuhes bewegte.
»Und wenn ich sogar hinfahre«, sprach Oblomow weiter, »wird dabei nichts herauskommen; die Bauern werden mich betrügen; der Dorfschulze kann sagen, was er will, und ich muß ihm glauben; er wird mir so viel Geld geben, als ihm gerade einfällt. Ach, daß Andrej nicht da ist; er hätte alles in Ordnung gebracht!« fügte er gekränkt hinzu.
Oljga lächelte, das heißt, nur ihre Lippen lächelten, aber nicht ihr Herz; in ihrem Herzen war Bitternis. Sie begann durchs Fenster zu blicken, indem sie das eine Auge ein wenig zukniff und jedem vorüberfahrenden Wagen folgte.
»Aber dieser Satjortij hat ein großes Gut verwaltet«, fuhr er fort, »der Gutsbesitzer hat ihn nur deswegen fortgeschickt, weil er stottert. Ich werde ihm die Vollmacht und die Pläne übergeben; er wird das Material zum Bau des Hauses besorgen, wird die Abgaben einheben, das Getreide verkaufen, das Geld bringen und dann ... Wie froh bin ich, liebe Oljga«, sagte er, ihre Hand küssend, »daß ich dich nicht zu verlassen brauche. Ich hätte die Trennung nicht ertragen; allein, ohne dich auf dem Gut zu sein ... wie entsetzlich! Wir müssen aber jetzt sehr vorsichtig sein ...«
Sie blickte ihn groß an und wartete.
»Ja«, begann er langsam, fast stotternd, »wir müssen uns selten sehen; gestern wurde bei uns wieder geklatscht, und sogar in der Wohnung der Hausfrau ... und ich will das nicht haben ... Sowie alles erledigt ist, wird der Bevollmächtigte den Bau anordnen und mir das Geld bringen ... das alles wird kaum ein Jahr dauern ... dann gibt es keine Trennung mehr, wir sagen alles der Tante, und ... und ...«
Er blickte Oljga an; sie war ohnmächtig geworden. Ihr Kopf hatte sich zur Seite geneigt, zwischen den bläulichen Lippen schauten die Zähne hervor. Er hatte im Übermaß der Freude nicht bemerkt, daß Oljga bei den Worten: »Sowie alles erledigt ist, wird der Bevollmächtigte den Bau anordnen«, erbleicht war und den Schluß des Satzes nicht gehört hatte.
»Oljga! ... Mein Gott, ihr ist übel!« sagte er und zog die Klingel.
»Dem Fräulein ist übel«, sagte er zur herbeilaufenden Katja. »Schnell Wasser! ... Äther ...«
»O Gott! Das Fräulein war den ganzen Morgen so lustig ... Was ist nur geschehen?« flüsterte Katja, vom Tisch der Tante Äther bringend und mit einem Glas Wasser hin und her laufend.
Oljga kam zu sich, stand mit Katjas und Oblomows Hilfe vom Sessel auf und ging wankend in ihr Schlafzimmer.
»Es wird vorübergehen«, sagte sie mit schwacher Stimme, »es sind nur die Nerven; ich habe heute nacht schlecht geschlafen, Katja, mach die Tür zu, warten Sie auf mich, sowie es mir besser geht, komme ich heraus.«
Oblomow blieb allein, legte das Ohr an die Tür, er konnte aber weder etwas sehen noch hören. Er ging nach einer halben Stunde durch den Korridor ins Mägdezimmer und fragte Katja, was mit dem Fräulein sei.
»Nichts«, sagte Katja, »sie hat sich hingelegt und mich hinausgeschickt; ich bin später hineingegangen und habe sie auf dem Lehnstuhl sitzen sehen.«
Oblomow ging wieder in den Salon, lauschte an der Tür; es war nichts zu hören. Er klopfte leise mit dem Finger, erhielt aber keine Antwort. Er setzte sich hin und vertiefte sich in seine Gedanken. Er dachte an vieles in diesen anderthalb Stunden, in seinen Gedanken veränderte sich viel, und er faßte viele neue Entschlüsse. Endlich blieb er dabei, daß er selbst mit dem Bevollmächtigten aufs Gut fahren würde, nach dem er bei der Tante die Einwilligung zur Hochzeit erbeten und sich dann mit Oljga hatte trauen lassen; er würde Iwan Gerassimitsch das Suchen einer Wohnung übergeben und sich sogar ein wenig Geld ausborgen ... um die Hochzeit zu arrangieren. Man könnte diese Schuld mit der Einnahme für das Getreide begleichen. Warum war er denn so mutlos gewesen? Ach Gott, wie alles sich innerhalb einer
Weitere Kostenlose Bücher