Oblomow
mir nie vorwerfen, ich hätte dich aus Stolz oder wegen einer Laune verlassen!«
Er schüttelte verneinend den Kopf.
»Bist du davon überzeugt, daß uns nichts geblieben ist, gar keine Hoffnung?«
»Ja«, sagte er, »es ist wahr ... Aber vielleicht ...« fügte er dann unschlüssig hinzu, »in einem Jahr ...« Er hatte nicht den Mut, seinem Glücke einen endgültigen Schlag zu versetzen.
»Glaubst du denn wirklich, daß du in einem Jahre deine Angelegenheiten und dein Leben geordnet haben wirst?« fragte sie. »Überlege es dir!«
Er seufzte, vertiefte sich in seine Gedanken und kämpfte mit sich. Sie las diesen Kampf von seinem Gesichte ab.
»Höre«, sagte sie, »ich habe soeben das Bild meiner Mutter angeschaut, und ich glaube in ihren Augen Rat und Kraft gefunden zu haben. Wenn du jetzt ein ehrlicher Mensch bist ... Vergiß nicht, Ilja, daß wir keine Kinder sind und nicht scherzen. Es handelt sich um das ganze Leben. Befrage streng dein Gewissen und sprich dann – ich werde dir glauben, ich kenne dich. Hast du genug Kraft für ein ganzes Leben? Wirst du mir das sein, was ich brauche? Du kennst mich, du verstehst also, was ich sagen will. Wenn du mutig und wohlüberlegt ja sagst, dann nehme ich meinen Entschluß zurück, dann reiche ich dir die Hand und folge dir, wohin du willst; ins Ausland, aufs Gut, sogar in die Wiborgskajastraße!«
Er schwieg.
»Wenn du wüßtest, wie ich dich liebe ...«
»Ich erwarte keine Liebeserklärungen, sondern eine kurze Antwort!« unterbrach sie ihn fast trocken.
»Quäle mich nicht, Oljga!« flehte er traurig.
»Wie ist's, Ilja, habe ich recht oder nicht?«
»Ja«, sagte er deutlich und entschlossen, »du hast recht!«
»Dann ist es Zeit, daß wir uns trennen«, beschloß sie, »bevor man dich hier angetroffen und gesehen hat, wie aufgeregt ich bin!«
Er ging noch immer nicht.
»Wenn du mich auch geheiratet hättest, was dann?« fragte sie.
Er schwieg.
»Du würdest mit jedem Tag immer fester einschlafen – nicht wahr? Und ich? Du siehst, wie ich bin! Ich werde niemals altern und des Lebens müde werden. Und mit dir zusammen müßte ich einen Tag wie den anderen verleben, wir würden auf Weihnachten und dann auf den Karneval warten, Besuche machen, tanzen und an nichts denken; wir würden uns schlafen legen und Gott danken, daß der Tag so schnell vergangen ist, und des Morgens würden wir mit dem Wunsche erwachen, das Heute möchte dem Gestern ähnlich sehen ... Das ist unsere Zukunft – ja? – Heißt denn das leben? Ich werde zugrunde gehen und sterben ... warum, Ilja? Wirst du denn glücklich sein? ...«
Er ließ seine Augen gequält über den Plafond gleiten, wollte sich erheben und fortstürzen – doch die Füße gehorchten ihm nicht. Er wollte etwas sagen; sein Mund war ausgetrocknet, die Zunge rührte sich nicht, die Stimme wollte nicht aus der Kehle dringen. Er streckte ihr die Hand hin.
»Also ...« begann er mit gesenkter Stimme, sprach aber nicht weiter und schloß mit dem Blicke »Lebewohl!«.
Auch sie wollte etwas sagen, tat es aber nicht und reichte ihm die Hand hin, doch diese sank herab, bevor sie die seinige berührt hatte; sie wollte ihm auch »Lebewohl« zurufen, doch die Stimme versagte ihr in der Mitte des Wortes und schlug einen falschen Ton an; das Gesicht verzerrte sich in einem Krampf; sie legte ihm den Kopf und die Hand auf die Schulter und schluchzte. Es war, als hätte man ihr die Waffe aus der Hand gerissen. Der Verstand versagte, sie war jetzt einfach ein vom Gram überwältigtes Weib.
»Leb wohl, leb wohl ...« stieß sie zwischen den Anfällen von Schluchzen hervor.
Er schwieg und hörte entsetzt ihrem Weinen zu, ohne zu wagen, ihm Einhalt zu tun. Er empfand weder ihr noch sich selbst gegenüber Mitleid; er war sehr elend. Sie ließ sich in den Lehnstuhl sinken, preßte das Tuch vors Gesicht, stützte sich auf den Tisch und weinte bitterlich. Die Tränen brachen nicht wie eine unerwartet hervorströmende heiße Quelle hervor, von plötzlichem, vergänglichem Schmerz hervorgerufen, wie damals im Parke, sondern flossen trostlos in kalten Strömen, wie Herbstregen, der unerbittlich die Felder netzt.
»Oljga«, sagte er endlich, »warum quälst du dich? Wenn ich des Glückes auch unwürdig bin, so schone doch dich selbst! Du liebst mich, du wirst die Trennung nicht ertragen! Nimm mich, wie ich bin, liebe in mir das, was ich in mir Gutes habe.«
Sie schüttelte ablehnend den Kopf, ohne ihn zu erheben. »Nein ... nein ...«
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