Oblomow
es ist eine gesetzliche Sache!«
»Eine ganz gesetzliche!« erklärte Tarantjew, beifällig nickend, »wollen wir auch dann wiederholen!«
»Wiederholen!«
Und sie tranken.
»Wenn dein Landsmann sich nur nicht wehrt und dem Deutschen schreibt«, bemerkte Muchojarow ängstlich, »dann steht es schlimm, Bruder! Man kann keine Klage gegen ihn erheben, sie ist eine Witwe und kein Mädchen!«
»Er wird schreiben! Gewiß wird er schreiben!« sagte Tarantjew. »So in zwei Jahren. Und wenn er sich wehrt, dann schimpfe ich ...«
»Nein, nein, Gott behüte! Dann verdirbst du alles, Gevatter. Er wird sagen, man hätte ihn gezwungen, wird vielleicht noch etwas von Schlägen erwähnen, dann ist es ein Kriminalprozeß. Nein, das taugt nicht! Man kann es aber anders machen. Zuerst mit ihm essen und trinken; er liebt Johannisbeerschnaps. Sowie er ein wenig benebelt ist, gibst du mir ein Zeichen, und ich komme mit dem Schein herein. Er wird sich die Summe gar nicht anschauen und wird wie damals den Kontrakt unterschreiben; wenn die Sache dann aber vom Notar bestätigt ist, kann er nichts mehr machen! Dieser Edelmann wird sich schämen einzugestehen, daß er in betrunkenem Zustand unterschrieben hat; eine gesetzliche Sache!«
»Eine gesetzliche Sache!« wiederholte Tarantjew.
»Oblomowka wird dann den Erben zufallen.«
»Gewiß! Trinken wir, Gevatter.«
»Auf das Wohl der Tölpel!« sagte Iwan Matwejewitsch.
Sie tranken.
Viertes Kapitel
Wir müssen uns jetzt in die Zeit vor der Ankunft von Stolz an Oblomows Namenstag und in einen anderen Ort, weit von der Wiborgskajastraße entfernt, versetzen. Dort treffen wir bekannte Personen, von denen Stolz Oblomow nicht alles, was er wußte, erzählt hatte, vielleicht weil er seine Gründe dafür hatte oder weil Oblomow ihn nicht über alles diesbezüglich ausfragte, wofür er gewiß auch seine Gründe hatte.
Eines Tages schritt Stolz in Paris über einen Boulevard, betrachtete zerstreut die Passanten und die Aushängeschilder, ohne die Augen auf etwas ruhen zu lassen. Er hatte lange keine Briefe aus Rußland erhalten, weder aus Kiew noch aus Odessa noch aus Petersburg. Er langweilte sich, er trug drei Briefe auf die Post und wollte nach Hause zurückkehren. Plötzlich blieben seine Augen reglos und erstaunt an etwas haften, nahmen dann aber wieder ihren gewohnten Ausdruck an. Zwei Damen bogen vom Boulevard ab und traten in ein Geschäft. »Nein, das ist unmöglich; welch ein Gedanke! Ich müßte es ja wissen! Das sind sie nicht.« Er trat aber trotzdem an das Fenster dieses Geschäftes und betrachtete die Damen durch die Scheiben hindurch. »Man kann nichts sehen; sie kehren dem Fenster den Rücken zu.« Stolz trat in das Geschäft und verlangte etwas. Eine der Damen wandte sich dem Licht zu, er erkannte Oljga Iljinskaja und erkannte sie zugleich nicht! Er wollte zu ihr hineilen, blieb aber stehen und begann sie forschend zu betrachten. Mein Gott! Welch eine Veränderung! Das war zugleich sie und nicht sie. Es waren ihre Züge, aber sie war bleich, ihre Augen erschienen ein wenig eingefallen, und es war kein kindliches, naives, sorgloses Lächeln mehr auf ihren Lippen. Über den Brauen schwebte ein ernster, trauriger Gedanke, die Augen sprachen über vieles, was ihnen früher unbekannt war und worüber sie früher nicht gesprochen hatten. Sie hatte nicht mehr den früheren offenen, hellen, ruhigen Blick; über dem ganzen Gesicht lag ein Nebelschleier von Traurigkeit.
Er kam auf sie zu. Sie runzelte ein wenig die Brauen und blickte ihn einen Augenblick lang erstaunt an, dann erkannte sie ihn. Die Stirn glättete sich, die Brauen legten sich symmetrisch hin, die Augen erglänzten in stiller, nicht stürmischer, aber tiefer Freude. Jeder Bruder wäre froh gewesen, wenn eine geliebte Schwester sich über ihn so erfreut gezeigt hätte.
»Mein Gott! Sind Sie es!« sagte sie mit zu Herzen dringender, rührend freudiger Stimme.
Die Tante wandte sich schnell um, und sie begannen alle drei zugleich zu sprechen. Er warf ihnen vor, daß sie ihm nicht früher geschrieben hatten; sie suchten sich zu rechtfertigen. Sie waren erst seit drei Tagen da und suchten ihn überall. Jemand hatte ihnen gesagt, er wäre nach Lyon verreist, und sie wußten nicht, was sie tun sollten.
»Wie ist es Ihnen nur eingefallen zu reisen? Und Sie haben mir kein Wort davon geschrieben!« warf er ihnen wieder vor.
»Wir haben die Reise so schnell beschlossen, daß wir Ihnen nicht schreiben konnten«, sagte die
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