Oblomow
einer tiefen, wenn auch unausgesprochenen Unzufriedenheit sich über ihr Gesicht breitete. Und er mußte zwei, drei Tage lang die feinsten Fähigkeiten seines Geistes, selbst List und Leidenschaft und sein ganzes Verständnis, mit Frauen umzugehen, anwenden, um mit Mühe allmählich einen Widerschein von Frieden und sanfter Resignation aus Oljgas Herzen auf ihr Gesicht, in ihren Blick und ihr Lächeln zu locken. Er kehrte manchmal von diesem Kampf ermattet abends nach Hause zurück und war glücklich, wenn er Sieger blieb.
»O Gott, wie reif ist sie geworden! Wie dieses Mädchen sich entwickelt hat! Wer war denn ihr Lehrer? Wo hat sie das Leben erlernt? Beim Baron? Aus seinen glatten, geckenhaften Phrasen ist nichts zu schöpfen. Doch nicht bei Ilja! ...«
Und er konnte Oljga nicht begreifen, kam am nächsten Tag wieder zu ihr, las dann vorsichtig und ängstlich in ihrem Gesicht, wobei er oft in Verlegenheit geriet und nur mit Zuhilfenahme seiner ganzen Vernunft und Lebenskenntnis die Fragen, Zweifel und Forderungen besiegte – alles das, was sich in Oljgas Zügen widerspiegelte. Er begab sich mit der Fackel der Erfahrung in den Händen in das Labyrinth ihres Verstandes und Gemütes und entdeckte und studierte täglich neue Züge und neue Tatsachen, ohne noch den Grund zu entdecken, und verfolgte nur erstaunt und beunruhigt, wie ihr Geist täglich neue Nahrung verlangte und ihre Seele ohne Unterlaß nach Erfahrungen und Betägigung suchte.
Dem ganzen Leben und der Tätigkeit von Stolz gesellte sich mit jedem Tage ein anderes Leben und eine andere Tätigkeit hinzu; nachdem er Oljga mit Blumen umringt hatte, nachdem er sie mit Büchern, Noten und Albums versorgt hatte, beruhigte sich Stolz, da er die freie Zeit seiner Freundin für genügend ausgefüllt hielt, und ging arbeiten oder fuhr irgendein Bergwerk oder ein mustergültiges Gut besichtigen, oder er ging in Gesellschaft, um mit neuen hervorragenden Menschen bekannt zu werden; dann kehrte er müde zu ihr zurück, wollte sich ans Klavier setzen und den Tönen ihrer Stimme lauschen. Statt dessen sah er aber auf ihrem Gesicht schon neue Fragen und in ihrem Blick ein beharrliches Verlangen nach Aufklärung auftauchen. Und er gab ihr unmerklich und unwillkürlich nach und nach Rechenschaft darüber, was er besichtigt hatte und weshalb er es getan hatte. Manchmal äußerte sie den Wunsch, das, was er gesehen und erfahren hatte, selbst zu sehen und zu erfahren. Und er wiederholte seine Arbeit und fuhr mit ihr, um ein Gebäude, eine Gegend, eine Maschine zu besichtigen oder eine alte Begebenheit von den Mauern und Steinen abzulesen. Er hatte sich allmählich unmerklich daran gewöhnt, in ihrer Anwesenheit laut zu denken und zu fühlen, und erfuhr, als er sich eines Tages streng prüfte, daß er nicht mehr allein, sondern zu zweien lebte und daß er dieses Leben seit dem Tage von Oljgas Ankunft führte. Er schätzte vor ihr wie vor sich selbst fast unbewußt die von ihm erworbenen Schätze ab und wunderte sich über sich und über sie; dann prüfte er sorgfältig, ob in ihrem Blick keine Frage zurückblieb, ob das Leuchten des befriedigten Geistes sich über ihr Gesicht verbreitete und ob ihr Blick ihm wie einem Sieger das Geleite gab. Wenn das geschah, ging er stolz und voller Aufregung nach Hause und bereitete sich in der Nacht lange Zeit heimlich für morgen vor. Die langweiligsten Arbeiten erschienen ihm nicht trocken, sondern nur notwendig; sie näherten ihn dem Innern des Lebensgewebes. Die Gedanken, die Beobachtungen und Erlebnisse wurden nicht schweigend dem Archiv des Gedächtnisses einverleibt, sondern hauchten jedem Tag glühende Farben ein. Wie glühte Oljgas bleiches Gesicht, wenn er, ohne ihren fragenden, düsteren Blick abzuwarten, vor ihr voll Feuer und Energie den neuen Vorrat, das neue Material ausbreitete! Und wie vollkommen glücklich war er, wenn ihr Geist voll Aufmerksamkeit und anmutiger Demut sich seinen Blick und jedes Wort aufzufangen beeilte und sie beide wachsam aufpaßten: er, ob in ihren Augen keine Frage zurückblieb, und sie, ob in ihm nicht noch etwas Ungesagtes verborgen war, ob er nicht etwas vergessen hatte, und vor allem, ob er es nicht für nötig hielt, ihr irgendeinen dunkeln, für sie schwer zugänglichen Punkt zu erwähnen und ihr seine Gedanken zu erläutern. Je wichtiger und komplizierter die Frage war, je aufmerksamer er sie in dieselbe einführte, desto länger und forschender ruhte ihr dankbarer Blick auf ihm und desto
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