Oblomow
nicht in seiner ganzen Fülle zuteil, dachte er, oder die Herzen, welche vom Lichte dieser Liebe erhellt werden, sind scheu; sie ängstigen sich und verstecken sich, ohne die Klugen widerlegen zu wollen; vielleicht bemitleiden sie sie und verzeihen ihnen im Namen ihres Glückes, daß sie die Blüten in den Kot treten, weil sie keinen Boden haben, in dem diese tiefe Wurzeln fassen und sich zu einem Baume entwickeln könnten, der ihr ganzes Leben beschatten würde. Wenn er die Ehen, die Männer und ihr Verhalten den Frauen gegenüber betrachtete, sah er stets eine Sphinx mit ihrem Rätsel vor sich; alles erschien unverstanden und unausgesprochen, und dabei sannen diese Männer über keine verwickelten Fragen nach und schritten mit einem so gleichmäßigen, selbstbewußten Gang über den Weg der Ehe, als hätten sie nichts zu suchen und zu beschließen. Sind sie denn im Unrecht? Vielleicht ist tatsächlich nichts anderes mehr notwendig, dachte er, sich selbst nicht trauend, wenn er sah, wie schnell manche die Liebe durchlebten, als sei sie das Abc der Ehe oder eine Form der Höflichkeit, als hätten sie beim Eintritt in die Gesellschaft ihre Verbeugung gemacht und wären schnell weitergeschritten! Sie schütteln den Frühling des Lebens ungeduldig von ihren Schultern; viele sehen dann das ganze Leben lang ihre Frauen schief an, als ärgerten sie sich darüber, daß sie einst so dumm waren, sie zu lieben. Manche verläßt die Liebe lange nicht, bis zum Alter, sie wird aber auch immer vom Lächeln eines Satyrs begleitet ... Die meisten schließen die Ehe ebenso, wie man ein Gut kauft und seine Vorzüge genießt; die Frau bringt Ordnung ins Haus, sie ist Wirtschafterin, Mutter, Erzieherin der Kinder, und die Liebe wird von demselben Standpunkte aus betrachtet, von dem ein praktischer Besitzer die Lage des Gutes anschaut, das heißt, indem er sich sofort daran gewöhnt und sie dann nie mehr beachtet. Was ist das: angeborenes Unvermögen, als Folge der natürlichen Gesetze? fragte er sich, oder ein Fehler der Vorschule und der Erziehung? ... Wo ist denn jene Sympathie, die niemals ihren natürlichen Reiz einbüßt und kein Narrengewand anzieht, die sich verändert, aber nicht erlischt? Wie ist die natürliche Gestalt und wie sind die Farben dieses überall verstreuten und alles füllenden Glückes, dieses Saftes des Lebens? Er blickte prophetisch in die Ferne, und dort erschien ihm im Nebel die Gestalt des Gefühles und zugleich des Weibes, das seine Farbe trug und in seinem Lichte erstrahlte, eine so einfache, aber lichte und reine Vision. »Träume! Träume!« sagte er erwachend und lächelte über die müßige Arbeit der Gedanken. Aber dieser Traum lebte gegen seinen Willen in seiner Erinnerung fort. Zuerst sah er in diesem Traum die Zukunft der Frau überhaupt; als er aber in der gereiften und entwickelten Oljga nicht nur die Pracht erblühter Schönheit, sondern auch eine zum Leben bereite, nach Wahrheit und Kampf dürstende Kraft sah – alles Attribute seiner Vision –, erstand in ihm der alte, fast vergessene Traum von der Liebe. Oljga erschien ihm in dieser Gestalt, und er glaubte in weiter Ferne zu sehen, daß in ihrer Sympathie die Wahrheit ohne Narrenkappe und ohne Zwang erschien.
Ohne mit der Frage von der Liebe und Ehe zu spielen, ohne irgendwelche andere Frage bezüglich des Geldes, der gesellschaftlichen Verbindungen und der Ämter damit in Zusammenhang zu bringen, dachte Stolz doch darüber nach, wie seine bis dahin unermüdliche Tätigkeit sich mit dem Familienleben verbinden würde und wie er sich aus einem Touristen und Kaufmann in einen seßhaften Familienvater verwandeln würde. Wenn diese äußere Unruhe vergehen würde, was würde dann sein Leben zu Hause ausfüllen? Die Erziehung und Bildung der Kinder, das Überwachen ihres Lebens war natürlich keine leichte und einfache Aufgabe, aber das lag noch in weiter Ferne, was würde er aber bis dahin tun?
Diese Fragen hatten ihn lange und oft beunruhigt, und ihm war das Leben eines Hagestolzes nicht lästig; es fiel ihm nicht ein, sowie sein Herz, die Nähe der Liebe witternd, zu klopfen begann, sich von den Ketten der Ehe fesseln zu lassen. Darum hatte er früher sogar Oljga vernachlässigt und hatte sie nur als ein liebes Kind, das zu großen Hoffnungen berechtigte, bewundert; er warf ihr scherzend im Vorübergehen einen kühnen, neuen Gedanken oder eine treffende Beobachtung des Lebens in ihr gieriges, empfängliches Hirn und weckte in ihrer Seele,
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