Oblomow
Blumengarten und die lange Pappelallee und warf sich stets mit vor Freude glühenden Wangen, mit leuchtendem Blick und stets mit der gleichen Ungeduld des Glücks, trotzdem seit ihrer Verheiratung schon ein paar Jahre vergangen waren, an die Brust ihres Mannes.
Stolz hatte über die Liebe und das Heiraten vielleicht originelle und übertriebene, aber selbständige Ansichten. Er hatte auch dabei einen freien und, wie ihm schien, einfachen Weg gewählt; aber welch eine schwierige Schule der Beobachtung, der Geduld und der Arbeit mußte er durchmachen, bevor er diese »einfachen Schritte« zu machen lernte!
Er hatte vom Vater die Gewohnheit geerbt, alles im Leben, selbst die Kleinigkeiten, ernst zu betrachten; vielleicht hatte er von ihm auch die pedantische Strenge geerbt, welche die Deutschen in ihren Ansichten, in jedem Schritt ihres Lebens und unter anderem auch in der Ehe äußern.
Das Leben des alten Stolz lag wie eine Inschrift auf einer Steintafel allen offen, und es war darin nichts zwischen den Zeilen zu lesen. Aber die Mutter mit ihren Liedern und ihrem zarten Flüstern, das fürstliche Haus, ferner die Universität, die Bücher und die Welt lenkten Andrej von dem geraden, vom Vater vorgezeichneten Weg ab; das russische Leben malte seine unsichtbaren Muster hinein und verwandelte die unscheinbare Tafel in ein großes, leuchtendes Bild. Andrej fesselte seine Gefühle nicht durch pedantische Ketten und ließ den Träumen sogar volle Freiheit, indem er nur bestrebt war, nicht »den Boden unter den Füßen« zu verlieren, wenn er auch beim Erwachen, infolge seiner deutschen Natur oder aus irgendeinem anderen Grunde, eine Folgerung nicht unterdrücken konnte und irgendeine Lebenswahrheit davontrug. Er war frisch an Körper, weil er frisch an Geist war. In seinen Knabenjahren war er übermütig, und wenn er nicht herumtollte, beschäftigte er sich unter der Aufsicht des Vaters mit etwas Ernstem. Er hatte keine Zeit, sich Träumen hinzugeben. Seine Phantasie und sein Gemüt blieben unangetastet; die Mutter hütete wachsam dessen Reinheit und Jungfräulichkeit. Als Jüngling schonte er instinktiv die Frische seiner Kräfte und begann schon zu entdecken, daß diese Frische Lebensfreude und Frohsinn erzeugt und jene Männlichkeit bildet, welche die Seele abhärtet, damit sie nicht vor dem Leben erbleicht, wie dieses auch sein mag, es nicht als ein schweres Joch und ein Kreuz, sondern nur als eine Pflicht betrachtet, und den Kampf damit würdig besteht. Viele Gedanken und Sorgen hatte er dem Herzen und dessen schwer zu ergründenden Gesetzen geweiht. Indem er bewußt oder unbewußt die Wirkung der Schönheit auf die Phantasie, den Übergang des Eindruckes in ein Gefühl, dessen Symptome, dessen Spiel und Ausgang betrachtete, um sich blickte und mit dem Leben vertraut wurde, arbeitete er sich die Überzeugung aus, die Liebe bewege mit der Macht des archimedischen Hebels die Welt, und darin sei ebensoviel allgemeine, unzweifelhafte Wahrheit und so viel Gutes enthalten, als aus ihrem Nichtbegreifen und Mißbrauch Lüge und Häßliches entstehe. Wo war das Gute und wo das Böse? Wo lag die Grenze zwischen beidem?
Bei der Frage: Wo ist die Lüge? zogen bunte Masken der Gegenwart und Vergangenheit durch seine Phantasie. Er blickte lächelnd, bald errötend und bald die Stirne runzelnd, auf den endlosen Zug der Helden und Heldinnen der Liebe: auf die Don Quichottes in Stahlhandschuhen, auf die Damen ihres Herzens und auf ihre fünfzigjährige Treue in der Trennung; auf die Schäfer mit roten Wangen und treuherzig glotzenden Augen und auf ihre Chloen mit den Lämmern. Vor ihm erschienen gepuderte Marquisen in Spitzen mit geistreich leuchtenden Augen und einem lasterhaften Lächeln; ferner die Werther, die sich erschossen, aufhängten und erdrosselten, die verblühten alten Jungfern mit den ewigen Liebestränen und dem Kloster und die bärtigen Gesichter der modernen Helden, mit dem wilden Feuer in den Augen, diese naiven und bewußten Don Juans, und die Erhabenen, die vor dem Verdachte, zu lieben, zittern und heimlich ihre Wirtschafterinnen anbeten ... Alle, alle!
Bei der Frage, wo die Wahrheit war, suchte er fern und nah in der Phantasie und mit den Augen nach Beispielen von einfachen, ehrlichen, aber tiefen und unwandelbaren Beziehungen zum Weibe, fand aber keine; wenn er sie zu finden glaubte, war es nur Schein, darauf folgte die Enttäuschung; er sann traurig nach und verzweifelte sogar. Dieses Glück wird uns wohl
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