Oblomow
Passanten stumpf betrachtend, oder begab sich in den Krämerladen und tat alles ebenso, wie er es früher, zuerst in Oblomowka und dann auf der Gorochowajastraße, getan hatte.
Und Oblomow selbst? Oblomow war das vollkommene und natürliche Spiegelbild und die Äußerung des ihn umgebenden Wohlstandes, der Ruhe und ungetrübten Stille. Er entschied, sein Leben betrachtend, darüber sinnend und sich immer mehr hineinversenkend, daß er nirgends mehr hinzugehen und nichts zu suchen hatte, daß sein Ideal vom Leben sich verwirklicht hatte, wenn es auch ohne Poesie und ohne jene Strahlen geschehen war, mit denen seine Phantasie ihm einst das sorglose, herrschaftliche Leben, auf großem Fuße auf dem eigenen Gute, inmitten von Bauern und von Dienstboten, geschmückt hatte. Er sah seine jetzige Existenz für die Fortsetzung des Lebens in Oblomowka an, die nur ein anderes Kolorit des Ortes und teilweise auch der Zeit aufzuweisen hatte. Es war ihm hier, wie früher in Oblomowka, gelungen, im Leben billig fortzukommen und sich bei demselben ungetrübte Ruhe zu erhandeln und zu sichern. Er triumphierte innerlich, weil er den qualvollen, störenden Forderungen und Stürmen entgangen war und sich von dem Horizonte entfernt hatte, unter dem die Blitze großer Freuden flammen und die Schläge großer Schmerzen herabsausen, wo trügerische Hoffnungen und majestätische Glücksphantome schweben, wo an dem Menschen die eigenen Gedanken nagen und wo ihn die Leidenschaft tötet, wo der Geist fällt oder triumphiert, wo der Mensch einen steten Kampf führt und gemartert, aber doch unbefriedigt und ungesättigt den Kampfplatz verläßt. Er hatte den Freuden, die der Kampf bietet, im Geiste entsagt, bevor er sie genossen hatte, und fühlte in seiner Seele nur in dem entlegenen Winkel, der aller Bewegung, allem Kampf und Leben fremd war, Ruhe. Und wenn seine Phantasie zu arbeiten begann, vergessene Erinnerungen und unerfüllte Träume auferstanden, wenn sich in seinem Gewissen Vorwürfe regten, warum er das Leben so und nicht anders verbrachte, schlief er unruhig, erwachte, sprang vom Bett auf und beweinte manchmal mit kalten Tränen der Hoffnungslosigkeit das lichte, für ewig erloschene Lebensideal, wie man einen teuren Toten beweint, mit dem Bewußtsein, für ihn, als er lebte, nicht genug getan zu haben.
Dann blickte er seine Umgebung an, genoß die zeitlichen Güter und beruhigte sich, indem er sinnend zusah, wie still und friedlich die Sonne in den Flammen des Abendrots unterging, und entschied endlich, daß sein Leben sich nicht nur so geformt hatte, sondern dazu geschaffen und sogar vorher bestimmt war, so einfach und schlicht zu sein, um die Möglichkeit der idealen Ruhe im menschlichen Sein zu verkörpern. Andern, dachte er, fiel das Schicksal zu, dessen stürmische Elemente zu äußern und die schaffenden und zerstörenden Kräfte in Bewegung zu setzen; jeder hatte seine Bestimmung! Dieser Oblomower Plato arbeitete sich diese Philosophie aus, die ihn inmitten der Fragen und strengen Forderungen der Pflicht und der Bestimmung sanft einwiegte! Er war nicht als Gladiator für eine Arena, sondern als friedlicher Zuschauer des Kampfes auf die Welt gekommen und erzogen worden; seine ängstliche, träge Seele hätte weder die Erregungen des Glückes noch die Schicksalsschläge ertragen – folglich hatte er die eine Seite des Lebens verkörpert und brauchte nichts mehr darin zu erstreben, zu ändern oder zu bereuen. Mit den Jahren kamen diese Gedanken und die Reue seltener, und er legte sie allmählich still in den einfachen, breiten Sarg seiner übrigen Existenz, den er sich mit seinen eigenen Händen nach dem Beispiel der Eremiten vorbereitet hatte, welche sich vom Leben abwenden und sich selbst ins Grab schaufeln. Er hatte schon aufgehört, von der Einrichtung des Gutes und von der Übersiedlung dorthin mit dem ganzen Hause zu träumen. Der von Stolz eingesetzte Verwalter schickte ihm regelmäßig einen bedeutenden Betrag, zu Weihnachten brachten die Bauern Mehl und Geflügel, und das Haus war von Wohlstand und Frohsinn erfüllt. Ilja Iljitsch kaufte sich sogar Pferde, aber mit der ihm eigenen Vorsicht schaffte er sich solche an, die sich erst nach dem dritten Peitschenschlag in Bewegung setzten, beim ersten und zweiten Schlag rührte sich das erste Pferd und machte einen Schritt zur Seite, dann rührte sich das zweite Pferd und machte einen Schritt zur Seite und dann erst zogen alle drei mit gespannt gestrecktem Hals, Rücken und
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