Oblomow
wurde dann nachdenklich und legte den Kopf auf die Schulter ihres Mannes. In ihrer Erinnerung erstand Oblomows sanftes, sinnendes Gesicht, sein zärtlicher Blick, seine Demut und dann sein klägliches, schamerfülltes Lächeln, mit dem er beim Abschied ihren Vorwurf beantwortete ... es wurde ihr so wehmütig ums Herz, und er tat ihr so leid ...
»Du wirst ihn nicht verlassen und vergessen?« sagte sie, ohne ihre Arme vom Halse ihres Mannes loszulösen.
»Niemals! Da müßte sich zwischen uns unerwartet ein Abgrund auftun oder eine Mauer erheben ...«
Sie küßte ihren Mann.
»Wirst du mich zu ihm mitnehmen, wenn wir in Petersburg sind?«
Er schwieg unschlüssig.
»Ja? Ja?« verlangte sie ihm beharrlich eine Antwort ab.
»Höre, Oljga«, sagte er und bestrebte sich, seinen Hals von ihren ihn fesselnden Armen zu befreien, »zuerst muß man ...«
»Nein, sage ja, versprich es mir, ich werde nicht ablassen!«
»Gut«, antwortete er, »aber nicht beim ersten, sondern erst beim zweiten Male; ich weiß, was mit dir sein wird, wenn er ...«
»Sprich nicht davon, sprich nicht!« unterbrach sie ihn.
»Wir beide werden alles zustande bringen; du allein wirst es nicht können und nicht wollen!«
»Gut; du wirst aber vielleicht für lange Zeit verstimmt sein!« sagte er, nicht ganz zufrieden, daß Oljga ihm seine Zustimmung abgenötigt hatte.
»Also, denke daran«, schloß sie, sich auf ihren Platz setzend, »daß du ihn nur dann verlassen wirst, wenn sich zwischen dir und ihm ›ein Abgrund auftut oder eine Mauer erhebt‹. Ich werde diese Worte nicht vergessen.«
Neuntes Kapitel
Friede und Stille ruhen über der ungepflasterten Wiborgskajastraße, über ihren hölzernen Trottoirs, den spärlichen Gärten und den mit Brennesseln überwucherten Rinnsteinen, wo unter dem Zaun irgendeine Ziege mit einem abgerissenen Strick um den Hals fleißig Gras zupft oder stumpf hindämmert, wo um die Mittagsstunde die geckenhaften hohen Absätze eines über das Trottoir gehenden Schreibers vorüberstampfen, sich an dem Fenster ein Tüllvorhang bewegt und zwischen den Geranien eine Beamtenfrau hervorschaut, oder es erscheint plötzlich über dem Gartenzaun für einen Augenblick ein lustiges, frisches Mädchengesicht, um sofort wieder zu verschwinden; gleich darauf taucht ein zweites, ebensolches Gesicht auf und verschwindet auf dieselbe Weise, dann erscheint wieder das erste und wird vom zweiten abgelöst, und es ertönt das Kichern und Lachen der sich schaukelnden Mädchen.
Auch im Hause der Pschenizina ist alles still. Wenn man auf den Hof tritt, stößt man auf eine lebende Idylle: die Hühner und Hähne laufen geschäftig hin und her und verstecken sich in die Winkel; der Hund beginnt an der Kette zu zerren und wütend zu bellen: Akulina hört die Kuh zu melken auf, der Hausmeister hält beim Holzhacken inne, und beide blicken neugierig den Besucher an. »Wen wünschen Sie?« fragt der Hausbesorger und zeigt, wenn er den Namen Ilja Iljitsch oder der Hausfrau vernimmt, schweigend auf den Hauseingang hin und fängt wieder Holz zu hacken an, während der Besucher über den reinen, mit Sand bestreuten Weg zur Stiege geht, deren Stufen mit einem einfachen, reinen Teppich bedeckt sind, und an dem blank geputzten Messinggriff der Klingel zieht, wonach ihm Anissja, die Kinder, manchmal die Hausfrau selbst oder Sachar, dieser aber zu allerletzt, öffnet.
Alles im Hause der Pschenizina wies auf eine Fülle und einen Umfang der Wirtschaft hin, die dort auch zu der Zeit, als Agafja Matwejewna mit ihrem Bruder zusammen wohnte, nicht zu sehen waren. Die Küche, die Vorratskammern und die Kredenz – alles war mit Geschirrbrettern angefüllt, auf denen große und kleine, runde und ovale Platten, Saucieren, Tassen und Berge von Tellern, von gußeisernen, kupfernen und irdenen Töpfen standen. In den Schränken lag das Silber der Hausfrau, das längst eingelöst und nie wieder versetzt wurde, und das von Oblomow. Dann waren dort ganze Reihen von riesengroßen, bauchigen und winzigen Teekannen und ein paar Reihen von einfachen, bemalten, vergoldeten, mit Sprüchen und flammenden Herzen und mit Chinesen verzierten Porzellantassen aufgestellt. Daneben standen Glasbehälter für Kaffee, Zimt, Vanille, Kristallschüsseln, Öl- und Essigflaschen. Außerdem waren ganze Bretter mit Paketen, Flaschen und Schächtelchen mit Hausmitteln, Kräutern, Wasser, Pflastern, Spiritus, Kampfer, mit Pulvern und Räucherkerzen bedeckt; dabei befand sich Seife,
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