Oblomow
rasch aufzuzeichnen. Das geht dann auf einen Schlag ...«
Tarantjew ging ins Vorzimmer, kam aber plötzlich zurück.
»Ich habe ganz vergessen! Ich bin heute früh mit der Absicht fortgegangen, dich um etwas zu bitten«, begann er, schon gar nicht mehr grob. »Man hat mich für morgen zu einer Hochzeit eingeladen. Rokotow heiratet. Laß mich deinen Frack anziehen, Landsmann; der meinige ist ein wenig schäbig ...«
»Aber das geht ja nicht!« sagte Oblomow, bei dieser neuen Forderung die Brauen furchend, »mein Frack paßt dir nicht ...«
»Er paßt mir; wieso sollte er mir nicht passen!« unterbrach ihn Tarantjew. »Erinnerst du dich, ich habe deinen Rock anprobiert; er war wie für mich genäht! Sachar! Sachar! Komm mal her, altes Rindvieh!«
Sachar brummte wie ein Bär, kam aber nicht.
»Rufe ihn, Ilja Iljitsch! Schau, wie er ist!« klagte Tarantjew.
»Sachar!« rief Oblomow.
»Oh, daß euch alle ...« ertönte es im Vorzimmer zugleich mit dem Sprung von der Ofenbank.
»Nun, was wollen Sie?« fragte er, sich an Tarantjew wendend.
»Gib meinen schwarzen Frack her!« befahl Ilja Iljitsch, »Michej Andreitsch wird zusehen, ob er ihm paßt; er muß morgen zu einer Hochzeit ...«
»Ich gebe den Frack nicht her«, sagte Sachar mit Bestimmtheit.
»Wie wagst du es, wenn dein Herr dir befiehlt?« schrie Tarantjew. »Warum steckst du ihn nicht in den Narrenturm, Ilja Iljitsch?«
»Das fehlte noch, den alten Mann in den Narrenturm zu stecken! Sachar, gib den Frack her, sei nicht eigensinnig!«
»Ich gebe ihn nicht her!« sagte Sachar kühl, »er soll uns zuerst unsere Weste und unser Hemd zurückgeben, die sind jetzt schon fünf Monate bei ihm auf Besuch. Er hat es ebenso wie jetzt zu einem Namenstag genommen, und wir haben die Sachen nicht wiedergesehen. Ich gebe den Frack nicht her!«
»Nun, adieu! Zum Teufel mit euch!« schloß Tarantjew zornig und wandte sich zur Tür, indem er Sachar mit der Faust drohte. »Vergiß also nicht, Ilja Iljitsch, ich miete für dich die Wohnung, hörst du?« fügte er hinzu.
»Nun gut, gut!« sagte Oblomow ungeduldig, um ihn loszuwerden.
»Schreibe unterdessen alles so, wie es sich gehört«, sprach Tarantjew weiter, »und unterlasse es nicht, dem Gouverneur mitzuteilen, daß du zwölf Kinder hast, ›eines kleiner als das andere‹. Und um fünf Uhr soll die Suppe auf dem Tisch sein! Warum hast du keine Piroge bestellt?«
Doch Oblomow schwieg; er hörte ihm schon längst nicht mehr zu und dachte mit geschlossenen Augen an etwas anderes. Als Tarantjew fort war, herrschte im Zimmer zehn Minuten lang eine absolute Stille. Oblomow war durch den Brief des Dorfschulzen und den bevorstehenden Umzug verstimmt und außerdem durch Tarantjews Schwadronieren ermüdet. Endlich seufzte er auf.
»Warum schreiben Sie denn nicht?« fragte Alexejew leise.
»Ich würde Ihnen die Feder beschneiden.«
»Beschneiden Sie sie und gehen Sie dann in Gottes Namen irgendwohin!« sagte Oblomow. »Ich werde damit selbst fertigwerden, und Sie werden es am Nachmittag abschreiben.«
»Aber gewiß«, antwortete Alexejew. »Ich könnte Sie sonst noch wirklich irgendwie stören ... Ich werde unterdessen die Botschaft bringen, man möchte auf uns nicht warten, um nach Jekaterinhof zu fahren. Adieu, Ilja Iljitsch.«
Doch Ilja Iljitsch hörte nichts; er hatte die Beine hinaufgezogen, lag jetzt beinahe im Sessel und versank mit trauriger Miene halb in Schlummer und halb in seine Gedanken.
Fünftes Kapitel
Oblomow, Edelmann von Geburt, Kollegiensekretär von Rang, lebte seit zwölf Jahren beständig in Petersburg.
Einst, als seine Eltern noch am Leben waren, hatte er weniger Räume, nahm nur zwei Zimmer ein und begnügte sich mit dem einen Diener Sachar, den er sich von dem Gut mitgebracht hatte. Doch nach dem Tode des Vaters und der Mutter war er der einzige Besitzer von dreihundertfünfzig Seelen, die er in einem der entlegensten Gouvernements, beinahe in Asien, geerbt hatte. Er bekam jetzt statt fünf- sieben-bis zehntausend Rubel Jahresrente, und sein Leben spielte sich von nun an in einem anderen, größeren Rahmen ab. Er mietete sich eine größere Wohnung, fügte zu seinem Dienstbotenetat einen Koch hinzu und hielt sogar eine Zeitlang ein paar Pferde. Damals war er noch jung, und wenn man auch nicht behaupten kann, daß er lebhaft war, war er doch wenigstens lebhafter als jetzt; er war noch von verschiedenen Bestrebungen erfüllt, hoffte immer auf etwas, erwartete viel vom Schicksal und von sich
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