Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
Vom Netzwerk:
einmal blickte und mit seinem wachen Verstande gierig und unbewußt die Typen dieser verschiedenartigen Menge, die an die bunten Erscheinungen eines Maskenballes erinnerten, beobachtete. Da gab es die Fürsten Pierre und Michel, von denen der erstere Andrjuscha sofort darüber belehrte, wie der Zapfenstreich bei der Infanterie und bei der Kavallerie geblasen würde, welche Säbel und Sporen die Husaren und die Dragoner hatten, welche Farbe die Pferde jedes Regimentes haben mußten und wohin man nach dem Lernen eintreten konnte, ohne sich Schande zu machen. Der zweite, Michel, stellte Andrjuscha, sowie er mit ihm bekannt geworden war, in Positur und begann sonderbare Sachen mit den Fäusten zu machen, mit denen er ihn bald in die Nase und bald in den Bauch traf, was, wie er dann sagte, englisches Boxen hieß. Nach drei Tagen hatte Andrej ihm nur auf Grund seiner ländlichen Frische und mit Hilfe seiner muskulösen Hände, ohne jede Wissenschaft, nach der englischen und russischen Methode die Nase zerschlagen, was ihm in den Augen beider Fürsten zu großer Autorität verhalf. Es gab noch zwei Komtessen, große, schlanke, elegant gekleidete Mädchen von elf und zwölf Jahren, die mit niemand sprachen, niemand grüßten und die sich vor den Bauern fürchteten. Sie hatten eine Gouvernante, Mademoiselle Ernestine, welche zu Andrjuschas Mutter Kaffee trinken kam und sie lehrte, ihm Locken zu machen. Sie ergriff manchmal seinen Kopf, legte ihn auf ihren Schoß und wickelte das Haar auf Papier, so daß es heftig schmerzte; oft faßte sie ihn mit ihren weißen Händen an beiden Wangen und küßte ihn so freundlich! Dann gab es dort einen Deutschen, der Tabatieren und Knöpfe auf einer Drehbank drechselte, außerdem einen Musiklehrer, der von einem Sonntag bis zum andern trank, dann ein ganzes Regiment von Stubenmädchen und endlich ein Rudel von großen und kleinen Hunden. Das alles erfüllte das Haus und das Dorf mit Lärm, Trubel, Schreien, Klopfen und Musik.
    Einerseits Oblomowka, andererseits das Fürstenschloß mit dem breiten Fluß des herrschaftlichen Lebens stießen mit dem deutschen Element zusammen, und Andrjuscha wurde nicht zu einem deutschen Burschen und nicht einmal zu einem Philister.
    Andrjuschas Vater war Agronom, Technologe und Lehrer. Bei seinem Vater nahm er praktischen Unterricht in der Landwirtschaft, studierte in sächsischen Fabriken Technik und erwarb sich auf der nächsten Universität, wo es an vierzig Professoren gab, das Recht, das zu unterrichten, was die vierzig Weisen ihm, so gut es ging, auseinandergesetzt hatten. Er ging aber nicht weiter, sondern kehrte eigensinnig um, nachdem er beschlossen hatte, daß er etwas leisten müsse, und kam zum Vater zurück. Dieser gab ihm hundert Taler und eine neue Reisetasche und schickte ihn in die weite Welt. Seitdem hatte Iwan Bogdanitsch weder die Heimat noch den Vater wiedergesehen. Er wanderte sechs Jahre lang in der Schweiz und Österreich herum, und jetzt lebte er seit zwanzig Jahren in Rußland und segnete sein Schicksal.
    Er hatte die Universität besucht und infolgedessen beschlossen, auch sein Sohn müsse sie besuchen, wenn es auch keine deutsche Universität war, und obwohl eine russische Universität im Leben seines Sohnes eine Umwälzung hervorbringen und ihn von jenem Pfad, den der Vater im Geiste dem Sohne bahnen wollte, weit entfernen mußte. Er war dabei sehr einfach vorgegangen; er hatte den Lebensweg des Großvaters genommen und ihn wie mit einem Lineal bis zum Enkel verlängert, ohne zu ahnen, daß die Variationen von Herz, die Träume und Erzählungen der Mutter, die Galerie und das Boudoir im fürstlichen Schlosse den schmalen deutschen Pfad in eine so große Straße verwandeln würden, wie sie weder sein Großvater, sein Vater, noch er selbst je auch nur im Traume geschaut hatten. Übrigens war er in dieser Beziehung kein Pedant und würde auf seinem Plan nicht bestanden haben; er vermochte nur eben seinem Sohne keinen anderen Weg vorzuzeichnen.
    Er kümmerte sich wenig darum. Als sein Sohn von der Universität zurückgekehrt war und drei Monate zu Hause gelebt hatte, sagte er ihm, es wäre für ihn in Werchljowo nichts mehr zu tun, man hätte sogar Oblomow nach Petersburg geschickt, es wäre folglich auch für ihn Zeit, hinzufahren. Der Alte gab sich keine Rechenschaft darüber, warum er nach Petersburg mußte und nicht in Werchljowo bleiben konnte, um ihm bei der Gutsverwaltung zu helfen; er erinnerte sich nur daran, daß, als er

Weitere Kostenlose Bücher