Oblomow
jetzt tat.
»Stehen Sie auf, stehen Sie auf«, brüllte er aus Leibeskräften und packte Oblomow mit beiden Händen beim Rockschoße und beim Ärmel. Oblomow stand plötzlich unerwartet auf und stürzte auf Sachar los.
»Wart nur, ich werde dich lehren, wie man den Herrn stört, wenn er schlafen will!« sagte er.
Sachar rannte, so schnell er konnte, von ihm fort, doch beim dritten Schritt hatte Oblomow den Schlaf ganz von sich abgeschüttelt und begann zu gähnen und sich zu strecken.
»Gib mir ... Kwaß ...« sagte er durch das Gähnen hindurch.
Jetzt brach jemand hinter Sachars Rücken in helles Gelächter aus. Beide wandten sich um.
»Stolz! Stolz!« schrie Oblomow entzückt, auf den Gast zustürzend.
»Andrej Iwanitsch!« sagte Sachar grinsend.
Und Stolz fuhr fort, sich vor Lachen zu schütteln; er hatte die ganze vorhergehende Szene mit angesehen.
Zweiter Teil
Erstes Kapitel
Stolz war nur zur Hälfte, dem Vater nach, ein Deutscher; seine Mutter war eine Russin; auch war er griechisch-katholischer Konfession; seine Muttersprache war Russisch; er hatte sie von der Mutter und aus Büchern, im Hörsaal der Universität und während der Spiele mit Dorfjungen, im Gespräche mit deren Vätern und auf den Moskauer Märkten gelernt. Die deutsche Sprache hatte er teilweise vom Vater geerbt und teilweise sich auch aus Büchern angeeignet. Stolz wuchs im Flecken Werchljowo auf, in dem sein Vater Verwalter war, und wurde dort erzogen. Mit acht Jahren saß er mit dem Vater über eine geographische Karte gebeugt, buchstabierte an Wieland, an Herder, an biblischen Versen herum und addierte die unorthographischen Rechnungen der Bauern, Kleinbürger und Fabrikarbeiter. Mit der Mutter las er die Heilige Schrift, lernte die Fabeln von Krilow und buchstabierte den »Telemak«. Wenn er vom Buche loskam, lief er mit Dorfjungen Vogelnester zerstören, und manchmal ertönte während des Unterrichtes oder des Betens aus seiner Tasche das Piepsen von jungen Dohlen. Es kam auch vor, daß, wenn der Vater nachmittags im Garten unter einem Baume saß und seine Pfeife rauchte und die Mutter an irgendeiner Jacke nähte oder auch Kanevas stickte, von der Straße plötzlich Lärm und Geschrei hereindrang und ein ganzer Volkshaufen ins Haus stürzte.
»Was ist los?« fragte die erschrockene Mutter.
»Wahrscheinlich bringt man wieder Andrej«, antwortete kaltblütig der Vater.
Die Tür wird aufgerissen, und eine ganze Menge, aus Bauern, Bäuerinnen und Dorfjungen bestehend, dringt in den Garten ein. Sie haben wirklich Andrej gebracht – aber in welchem Zustande! Ohne Stiefel, in zerrissenen Kleidern, und entweder hat er oder irgendein anderer Knabe eine zerschlagene Nase. Die Mutter war immer voller Unruhe, wenn sie Andrjuscha für einen halben Tag verschwinden sah, und hätte der Vater ihr nicht ausdrücklich verboten, ihn irgendwie daran zu hindern, würde sie ihn immer um sich gehabt haben. Sie wusch ihn, wechselte ihm Wäsche und Kleider, und Andrjuscha ging einen halben Tag lang als ein reiner, wohlerzogener Knabe herum, aber gegen Abend oder auch gegen Morgen brachte ihn wieder irgend jemand verschmiert, zerzaust und unkenntlich zurück, oder die Bauern führten ihn auf einem Heuwagen nach Hause, oder er kam endlich mit den Fischern in einem Boote, auf einem Netze schlafend. Die Mutter brach in Tränen aus, aber der Vater lachte nur.
»Das wird ein tüchtiger Bursch, ein tüchtiger Bursch!« sagte er manchmal.
»Hab doch ein Einsehen, Iwan Bogdanitsch«, klagte sie, »es vergeht kein Tag, ohne daß er mit einem blauen Fleck zurückkehrt, und neulich hat er sich die Nase blutig geschlagen.«
»Was wäre er denn für ein Kind, wenn er weder sich noch andern jemals die Nase zerschlagen hätte?« sagte der Vater lachend.
Die Mutter weint und weint, setzt sich dann ans Klavier und sucht in Herzschen Kompositionen Vergessenheit. Ihre Tränen tropfen eine nach der anderen auf die Tasten. Doch jetzt kommt Andrjuscha oder wird von anderen geführt; er beginnt so lebhaft, so lustig zu erzählen, daß er auch sie zum Lachen bringt, und außerdem ist er so verständig! Er wird den »Telemak« bald ebenso wie sie lesen und wird mit ihr vierhändig spielen.
Einmal verschwand er für eine ganze Woche; die Mutter weinte sich die Augen aus, der Vater aber blieb ruhig, ging im Garten herum und rauchte.
»Wenn Oblomows Sohn verschwunden wäre«, beantwortete er den Vorschlag der Frau, Andrej zu suchen, »würde ich das ganze Dorf und die
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