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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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wischend, »du arme Waise! Du hast keine Mutter, es ist niemand da, der dich segnet ... Laß mich, ich werde dich bekreuzigen, du mein Lieber! ...«
    Andrej ritt an sie heran, sprang vom Pferde herab, umarmte die Alte, wollte dann weiterreiten – und weinte plötzlich auf, während sie ihn bekreuzigte und küßte. Er glaubte in diesen Worten die Stimme der Mutter zu hören, und ihr zartes Bild erstand auf einen Augenblick vor ihm. Er umarmte noch einmal fest die Frau, wischte sich schnell die Tränen ab und sprang aufs Pferd. Er schlug es auf die Seiten und verschwand in einer Staubwolke; ihm stürzten verzweifelt drei Hofhunde von zwei verschiedenen Richtungen nach und bellten lange.
Zweites Kapitel
    Stolz war Oblomows Altersgenosse; auch er war schon über dreißig Jahre alt. Er war im Staatsdienste gewesen, trat dann aus, gab sich mit seinen persönlichen Angelegenheiten ab und erwarb sich tatsächlich ein Haus und Geld. Er ist an irgendeiner Gesellschaft beteiligt, die Waren nach dem Auslande schickt. Er ist immer in Bewegung. Wenn die Gesellschaft nach Belgien oder England einen Agenten schicken muß, reist er hin; wenn ein neues Projekt ausgearbeitet werden muß oder wenn irgendeine neue Idee dem Geschäfte anzupassen ist, wird das immer ihm übergeben. Und dabei kommt er in Gesellschaft und liest; Gott weiß, wann er das alles fertig bringt. Er besteht nur aus Knochen, Muskeln und Nerven, wie ein reinrassiges englisches Pferd. Er ist schmächtig, hat fast gar keine Wangen, das heißt er hat Knochen und darauf Muskeln, aber keine Spur einer fetten Rundung; seine Gesichtsfarbe ist gleichmäßig, dunkel und ohne jede Röte; die Augen sind zwar ein wenig grünlich, aber ausdrucksvoll. Er hatte keine überflüssigen Bewegungen. Wenn er saß, verhielt er sich ganz ruhig, wenn er aber irgend etwas tat, wandte er dabei nur so viel von seiner Mimik an, als notwendig war. Ebenso wie es in seinem Organismus nichts Überflüssiges gab, suchte er auch in den moralischen Funktionen seines Lebens nach einem Gleichgewichte zwischen den praktischen Seiten und den feineren Bedürfnissen seiner Seele. Diese beiden Gebiete liefen parallel, kreuzten sich und verstrickten sich unterwegs, verknüpften sich aber niemals zu unlösbaren, quälenden Knoten. Er ging festen Schrittes frisch vorwärts, lebte nach einem Budget, indem er bestrebt war, jeden Tag, ebenso wie jeden Rubel, unter eine beständige, nie versagende Kontrolle der verbrauchten Zeit, Arbeit, Kraft der Seele und des Herzens zu stellen.
    Er schien die Freuden und Leiden ebenso wie die Bewegungen seiner Hände und die Schritte seiner Füße zu beherrschen und sich dabei wie bei gutem oder schlechtem Wetter zu verhalten. Er öffnete den Schirm, solange es regnete, das heißt, er litt, solange der Schmerz anhielt, tat es aber ohne schüchterne Demut, sondern mit Ärger, und ertrug ihn nur deshalb geduldig, weil er den Grund jeden Schmerzes sich selbst zuschrieb und ihn nicht wie einen Rock auf einen fremden Nagel hängte. Er genoß auch die Freude, wie eine unterwegs gepflückte Blume, bis sie in seiner Hand verwelkte, ohne den Kelch jemals bis auf jenen Wermutstropfen zu leeren, der auf dem Boden eines jeden Genusses ruht. Es war eine beständige Aufgabe, sich eine einfache, das heißt eine gerade und wahre Ansicht über das Leben zu bilden, und während er allmählich ihrer Lösung zustrebte, begriff er ihre ganze Schwierigkeit und war jedesmal, wenn er auf seinem Wege eine Krümmung bemerkte und ihm ein gerader Schritt gelang, innerlich stolz und glücklich. »Es ist kompliziert und schwer, einfach zu leben!« sagte er sich oft und sah eilig hin, wo es schief wurde und wo der Faden der Lebensschnur sich zu einem unregelmäßigen, komplizierten Knoten zu verwickeln begann. Am meisten fürchtete er die Phantasie, diesen heuchlerischen Begleiter, der auf der einen Seite ein freundschaftliches und auf der anderen ein feindliches Gesicht hat, der ein desto größerer Freund ist, je weniger man ihm glaubt, und zum Feind wird, wenn man, seinem süßen Geflüster vertrauend, einschlummert. Er fürchtete jeden Traum; wenn er aber in dieses Gebiet eintrat, tat er es, wie man in eine Grotte tritt, die die Inschrift: ma solitude, mon hermitage, mon repos trägt, wobei man die Stunde und die Minute weiß, zu der man wieder herauskommt. Der Traum, als etwas Rätselhaftes und Geheimnisvolles, fand in seiner Seele keinen Platz. Das, was sich der Analyse der Erfahrung der realen

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