Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
Vom Netzwerk:
Pfriemen oder höchstens nach einem Bogen im Orchester zu verlangen. Und ihr schwebt für ihren Sohn das Ideal eines Aristokraten vor; obwohl er ein Parvenü, der Abkömmling eines Bürgers ist, ist er doch auch der Sohn einer russischen Edelfrau und ist ein weißer, wunderschön gebauter Knabe, mit so kleinen Händen und Füßen, mit reinem Teint, mit einem klaren, klugen Blicke, wie sie es in reichen, russischen Häusern und auch im Auslande, aber natürlich nicht bei Deutschen, gesehen hat. Und plötzlich sollte er fast selbst Mühlsteine drehen, von den Fabriken und Feldern, ebenso wie sein Vater, voller Fett und Dünger, mit roten, schmutzigen, schwieligen Händen und einem Wolfshunger zurückkehren! Sie schnitt Andrjuscha schnell die Nägel, brannte ihm die Locken, nähte ihm elegante Kragen und Vorhemden, bestellte für ihn in der Stadt Röcke, lehrte ihn, den sinnenden Tönen von Herz zu lauschen, sang ihm von Blumen, von der Poesie des Lebens, flüsterte ihm von einer glänzenden Laufbahn bald eines Kriegers, bald eines Schriftstellers zu, träumte mit ihm von dem hohen Beruf, der manchem zuteil wird ... Und diese ganze Perspektive sollte durch das Klappern des Rechenbrettes, durch das Entziffern der schmierigen Bauernrechnungen, durch den Umgang mit Fabrikarbeitern zerstört werden! Sie begann sogar den Wagen, in dem Andrjuscha in die Stadt fuhr, den Gummimantel, den der Vater ihm geschenkt hatte, und die grünen Handschuhe aus rauhem Leder zu hassen – alle diese groben Attribute eines der Arbeit gewidmeten Lebens. Unglücklicherweise lernte Andrjuscha vorzüglich, und der Vater machte ihn zum Hilfslehrer in seinem kleinen Pensionat. Das wäre noch das wenigste gewesen; aber er setzte ihm, wie einem Handwerksburschen, nach echt deutscher Art ein Gehalt fest: er bekam zehn Rubel monatlich und mußte das durch seine Unterschrift bestätigen.
    Tröste dich, gute Mutter, dein Sohn ist auf russischem Boden aufgewachsen – nicht in der Alltagsmenge mit bürgerlichen Kuhhörnern, mit Mühlsteine bewegenden Händen. In der Nähe war Oblomowka. Dort war ein ewiger Feiertag! Dort wurde die Arbeit wie ein Joch von den Schultern abgeschüttelt; dort stand der gnädige Herr nicht beim Morgengrauen auf und ging nicht in die Fabriken an den mit Fett beschmierten Rädern und Federn vorbei. Und in Werchljowo selbst stand ein den größten Teil des Jahres geschlossenes, leeres Haus, doch der lebhafte Knabe ging oft hinein und sah dort lange Säle, Galerien und an den Wänden dunkle Porträte, auf denen keine vulgäre Frische und keine großen, rauhen Hände abgebildet waren, er sah dunkelblaue Augen, gepudertes Haar, verzärtelte weiße Gesichter, volle Busen, zarte, blaugeäderte Hände in flatternden Manschetten, die stolz auf dem Griff des Degens ruhten; er sah eine Reihe von Geschlechtern, die in Brokat, Sammet und Spitzen, in edlem Nichtstun und in Wohlleben einander abgelöst hatten. Er studierte in diesen Gesichtern die Geschichte der ruhmvollen Zeiten, die Schlachten und Namen; er las darin von den alten Zeiten, aber ganz anders, als der Vater ihm, die Pfeife rauchend und spuckend, hundertmal vom Leben in Sachsen zwischen Rüben und Kartoffeln, zwischen Markt und Gemüsegarten erzählt hatte.
    Einmal in drei Jahren füllte sich dieses Schloß plötzlich mit Menschen; dann herrschte darin sprühendes Leben, es gab Feste und Bälle, und in den langen Galerien funkelten des Abends Lichter. Es kamen der Fürst, die Fürstin und ihre Familie. Der Fürst war ein grauhaariger Greis mit einem verblichenen, pergamentfarbigen Gesicht, mit trüben Glotzaugen und einer großen Glatze, er hatte drei Orden, eine goldene Tabatiere, eine Gerte mit einem Saphirgriff und Sammetstiefel. Die Fürstin flößte durch ihre Schönheit, ihren Wuchs und Umfang Ehrfurcht ein, es schien, niemand wäre jemals nahe an sie herangetreten und hätte sie umarmt und geküßt, nicht einmal der Fürst, trotzdem sie fünf Kinder hatte. Sie schien über jener Welt zu stehen, in welche sie einmal in drei Jahren herabstieg; sie sprach mit niemand und fuhr nirgends hin, sondern saß mit drei alten Frauen im grünen Eckzimmer und ging zu Fuß durch den Garten über die gedeckte Galerie in die Kirche hinein und setzte sich dort hinter einem Wandschirm auf einen Sessel.
    Dafür gab es im Hause außer dem Fürsten und der Fürstin eine ganze, so lustige und lebendige Welt, daß Andrjuscha mit seinen grünen Kinderaugen in drei, vier verschiedene Sphären auf

Weitere Kostenlose Bücher