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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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grübelte; an ihm schienen keine Gewissensbisse des ermüdeten Herzens zu nagen; er krankte nicht an der Seele, verlor niemals in verwickelten, schwierigen oder neuen Verhältnissen den Kopf, sondern trat an dieselben wie an gute Bekannte heran, als lebe er zum zweiten Male und gehe durch eine bekannte Gegend. Worauf er auch stoßen mochte, er fand gleich die entsprechende Verhaltungsmaßregel heraus, wie eine Wirtschafterin aus der Menge der an ihrem Gurt hängenden Schlüssel auf den ersten Griff gerade denjenigen herausfindet, der zu der einen oder anderen Tür paßt. Er achtete die Beharrlichkeit im Erreichen eines Zieles als das Höchste; das war in seinen Augen ein Zeichen von Charakter, und er versagte Menschen mit dieser Eigenschaft niemals seine Achtung, wie gering ihre Ziele auch sein mochten. »Das sind Menschen«, sagte er. Man braucht nicht hinzuzufügen, daß er kühn alle Hindernisse nahm, wenn er seinem Ziele entgegenschritt, und dasselbe erst dann aufgab, wenn auf seinem Wege eine Mauer emporragte oder sich ein unüberbrückbarer Abgrund auftat. Er war aber unfähig, sich mit jener Kühnheit zu bewaffnen, die mit geschlossenen Augen über einen Abgrund setzt oder auf gut Glück auf eine Mauer losstürzt. Er mißt den Abgrund oder die Mauer aus, und wenn er kein sicheres Mittel, sie zu bewältigen, weiß, wendet er sich ab, was man dazu auch sagen mag.
    Um einen solchen komplizierten Charakter zu bilden, waren vielleicht gerade solche gemischte Elemente nötig, wie sie Stolz gebildet hatten. Unsere aktiven Menschen wurden von jeher gleichsam in fünf, sechs stereotype Formen gegossen, sie blickten träge, mit einem halben Auge um sich, legten an die soziale Maschine ihre Hand und schoben sie schläfrig im selben Geleise weiter, indem sie in die Fußstapfen ihrer Vorgänger traten. Doch jetzt öffneten sich die Augen, man hörte feste, große Tritte und lebendige Stimmen ... Wieviel Stolze müssen noch unter russischem Namen erscheinen?
    Wie konnte ein solcher Mensch Oblomow nahestehen, bei dem jeder Zug, jeder Schritt, die ganze Existenz ein Protest gegen das Leben von Stolz war? Es ist wohl schon eine zugegebene Tatsache, daß die ausgesprochene Entgegengesetztheit der Naturen, wenn nicht der Anlaß einer Sympathie, wie man früher glaubte, so doch kein Hindernis für eine solche bildet.
    Dabei verband sie die Kindheit und die Schule – zwei starke Federn; außerdem kamen noch die in der Familie Oblomow dem deutschen Knaben freigebig entgegengebrachten herzlichen russischen Liebkosungen hinzu und die Rolle des Starken, die Stolz Oblomow gegenüber in physischer und geistiger Beziehung vertrat; aber am wichtigsten war endlich der reine, lichte und gute Keim in Oblomows Natur, der allem gegenüber, was gut war und was sich dem Ruf seines einfachen, ungekünstelten, stets vertrauenden Herzens eröffnete, tiefe Sympathie entgegenbrachte. Wer nur zufällig oder absichtlich in diese lichte, kindliche Seele hineinblickte, konnte, so düster und boshaft er auch sein mochte, ihm nicht seine Gegenliebe oder wenigstens ein gutes, bleibendes Angedenken versagen.
    Andrej riß sich oft von seinen Geschäften oder von der Gesellschaft, von einem Abend oder Ball los und fuhr zu Oblomow hin, um auf dessen breitem Sofa zu sitzen und in einer trägen Unterhaltung die erregte oder ermüdete Seele zu beruhigen, und es kam über ihn immer jenes besänftigende Gefühl, welches man empfindet, wenn man aus reichgeschmückten Sälen in die eigene bescheidene Häuslichkeit kommt oder von den Schönheiten der südlichen Natur in den Birkenhain zurückkehrt, in dem man als Kind einst spazierengegangen war.

Drittes Kapitel
    »Guten Tag, Ilja! Wie freue ich mich, dich zu sehen! Nun, wie geht's dir? Gut?« fragte Stolz.
    »O nein, mir geht's schlecht, Bruder Andrej«, sagte Oblomow seufzend. »Auch in der Gesundheit.«
    »Bist du denn krank?« fragte Stolz besorgt.
    »Die Gerstenkörner quälen mich so; erst vorige Woche ist eins vom rechten Auge herunter und jetzt kommt wieder ein anderes.«
    Stolz lachte.
    »Nur das?« fragte er. »Das hast du vom vielen Schlafen.«
    »Es ist aber nicht ›nur‹ das; ich leide so an Sodbrennen. Du solltest hören, was der Doktor vor kurzem gesagt hat. ›Gehen Sie ins Ausland‹, sagt er, ›sonst kann es schlecht enden. Sie bekommen einen Schlagfluß.‹«
    »Nun, was tust du?«
    »Ich fahre nicht hin.«
    »Warum denn nicht?«
    »Aber ich bitte dich! Höre nur, was er mir alles gesagt hat:

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