Oblomow
Du hast angefangen, Englisch zu lernen ... und hast nicht zu Ende gelernt! Und als ich den Plan einer Reise ins Ausland entwarf und dir vorschlug, dir die deutschen Universitäten anzusehen, bist du aufgesprungen, hast mich umarmt und mir feierlich die Hand gereicht: ›Ich bin dein, Andrej, ich folge dir überallhin‹ – das sind deine Worte. Du hattest immer etwas von einem Schauspieler an dir. Was ist daraus geworden, Ilja? Ich war zweimal im Auslande und habe, nachdem ich mit unserer Weisheit vertraut geworden war, bescheiden auf den Universitätsbänken in Bonn, in Jena und in Erlangen gesessen und habe Europa wie mein Gut kennengelernt. Übrigens ist eine Reise ins Ausland ein Luxus, den nicht ein jeder in der Lage und verpflichtet ist, sich zu leisten; aber Rußland? Ich habe Rußland kreuz und quer durchreist. Ich arbeite ...«
»Du wirst doch einmal zu arbeiten aufhören«, bemerkte Oblomow.
»Ich werde niemals aufhören. Warum denn?«
»Wenn du dein Kapital verdoppelt hast«, sagte Oblomow.
»Ich höre auch dann nicht auf, wenn ich es vervierfacht habe.«
»Weswegen mühst du dich dann ab?« fragte Oblomow nach einer Weile, »wenn dein Ziel nicht darin besteht, dich für immer zu versorgen und dich dann zurückzuziehen und auszuruhen? ...«
»Die ländliche Oblomowerei!« sagte Stolz.
»Oder durch dein Amt eine Stellung und einen Namen in der Gesellschaft zu erlangen und dann in achtbarem Nichtstun die verdiente Ruhe zu genießen ...«
»Petersburger Oblomowerei!« entgegnete Stolz.
»Wann soll man denn leben?« fragte Oblomow, durch die Bemerkung von Stolz gereizt. »Wozu soll man sich dann das ganze Leben abquälen?«
»Um der Arbeit selber willen, das ist alles. Die Arbeit ist die Gestalt, der Inhalt, das Element und Ziel des Lebens, wenigstens des meinigen. Sieh, du hast die Arbeit aus dem Leben verbannt; was ist daraus geworden? Ich versuche, dich, vielleicht zum letzten Male, aufzurütteln. Wenn du auch dann noch mit den Tarantjews und Alexews hier sitzenbleiben wirst, dann bist du ganz verloren und wirst dir selbst zur Last fallen. Jetzt oder nie!« schloß er.
Oblomow hörte ihm zu und blickte ihn mit unruhigen Augen an. Es war, als hätte der Freund ihm einen Spiegel vorgehalten und als hätte er sich entsetzt erkannt.
»Schilt mich nicht, Andrej, sondern hilf mir wirklich!« begann er seufzend. »Ich quäle mich damit ab, und wenn du zum Beispiel heute gesehen und gehört hättest, wie ich mir selbst ein Grab vorbereite und mich beweine, hättest du es nicht fertig gebracht, mir Vorwürfe zu machen. Ich weiß und begreife alles, ich habe aber keine Kraft und keinen Willen. Gib mir deinen Willen und deinen Verstand und führe mich, wohin du willst. Ich werde dir vielleicht folgen, aber allein rühre ich mich nicht von der Stelle. Du sagst die Wahrheit: ›Jetzt oder nie mehr!‹ Noch ein Jahr, und es ist zu spät!«
»Bist denn du das, Ilja?« sprach Andrej, »ich sehe dich als einen schlanken, lebhaften Knaben, wie du jeden Tag von der Pretschistenka 2 nach Kudrino gegangen bist; dort im Garten ... Hast du die zwei Schwestern vergessen? Und Rousseau, Schiller, Goethe, Byron, die du ihnen hingetragen hast, und die Romane von Cottin und Genlis, die du ihnen fortgenommen hast ... Weißt du noch, wie wichtig du vor ihnen getan hast und wie du ihren Geschmack reinigen wolltest?«
Oblomow sprang vom Sofa auf.
»Wie, du erinnerst dich noch daran, Andrej? Ja, gewiß! Ich habe mit ihnen geträumt, habe ihnen Zukunftshoffnungen zugeflüstert, habe ihre Pläne, Gedanken und auch Gefühle im geheimen vor dir entwickelt, damit du mich nicht auslachst. Dort ist das alles gestorben und hat sich nie mehr wiederholt! Und wo ist alles geblieben? – Warum ist alles erloschen? Das ist unbegreiflich! Es hat bei mir ja weder Stürme noch Erschütterungen gegeben; ich habe nichts verloren; mein Gewissen wird von keinem Joch bedrückt; es ist rein wie Glas; mein Selbstgefühl wurde von keinem Schlage betroffen. Gott weiß, warum alles in mir zugrunde geht!«
Er seufzte.
»Weißt du, Andrej, in meinem Leben hat nie weder ein rettendes noch ein verwüstendes Feuer gebrannt! Mein Leben erinnerte nicht an einen Morgen, der allmählich in allen Farben spielt und von einer Flamme beleuchtet wird, die, wie es bei anderen ist, sich dann in einen heißlodernden Tag verwandelt, da alles im hellen Mittag wogt und sich bewegt, immer bleicher und stiller wird und gegen Abend ganz natürlich und allmählich
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