Obsession (German Edition)
Kästen auf den Flaschenwagen stelle und die übrigen, noch verschlossenen Flaschen in die Kästen einsortiere, in denen Flaschen fehlen, grübele ich über den Sinn des Ganzen. Welche Rolle Carlos dabei spielt, ist mir auch nicht wirklich klar. Gut, er mag in Berlin und meinetwegen auch in Stuttgart diese Sekte vertreten, aber erstens wird er sicher nicht deutschlandweit zuständig sein, zweitens frage ich mich, ob er schon von unserer – Brix’ und meiner – Beteiligung weiß und last but not least ... ob er drittens in irgendeiner Form eine Bedrohung für Brix, mich, Fabrice, René oder das »Addiction« darstellt. Denn ich bin mir sicher, dass dieser Zustand mit René und Fabrice bei uns nicht ewig anhalten wird. Ich habe zwar nichts gegen Besuch, aber ich möchte eigentlich auch keine Beziehung zur viert führen – und ein bisschen Privatleben wäre auch nicht schlecht.
Okay, noch mal von vorne. Wir haben einen Täter oder eine Tätergruppe. Diese Tätergruppe ist mit den »Kindern der Isis« verbunden oder identisch. Aus irgendeinem Grund werden Stricher getötet. Carlos Alfaya hat auch etwas mit den »Kindern der Isis« zu tun und wurde am Flughafen von der Person abgeholt, die den Aussagen der Zeugen zufolge personengleich mit unserem Täter oder zumindest einem Mitglied der Tätergruppe zu sein scheint. Außerdem haben wir einen Toten im Pool, aber dessen Verwicklung mit den »Kindern der Isis« ist nicht nachweisbar.
»Ich werde vermutlich noch zum Hauptkommissar befördert«, bestätige ich mir halblaut meine Theorien. Dabei öffne ich meine rechte Hand, und die Colaflasche, die ich darin halte, fällt auf den Boden und reißt mich aus meinen Grübeleien.
Aber wenn alles so ist, wie ich denke, warum haben unsere Tätergruppe oder unser Täter nicht die Gelegenheit eines vollen Hauses genutzt, um Fabrice oder mich abzugreifen oder es zumindest zu versuchen? Bei schätzungsweise zweitausend Gästen wären trotz des erhöhten Aufgebots an Security sicher ein oder zwei Killer nicht aufgefallen und hätten es zumindest erheblich leichter gehabt, ihr grausiges Werk zu vollbringen ...
Ich stapele die vollen Getränkekisten im Aufzug und räume die Flaschen aus den angebrochenen Kästen in die Kühlschränke unserer beiden Bars. Außerdem stelle ich eine Kiste Cola ins Büro der Schichtleiter, damit Markus nachher, wenn das »Addiction« zum letzten Tag des AIDS-Benefiz-Wochenendes seine Türen öffnet, nach der Überreichung des »Addiction«-Schecks wenigstens was zu trinken hat. Auch wenn es heute Abend sicher nicht so voll sein wird, beschließe ich, die Getränkekisten gerade im Aufzug stehen zu lassen, damit der Schichtleiter bei Bedarf nur den Aufzug rufen braucht, um Getränke aus dem Lager zu holen, und sie dann bereits in demselben zu finden. Und die nicht verbrauchten Kisten brauche ich dann morgen bloß oben im Lager aus dem Aufzug zu räumen.
Ich lasse meinen Blick kurz durch den Base Floor schweifen, wo unsere Putzkolonne bereits gewütet hat – es ist alles blitzsauber und bereit für einen neuen Tag »Addiction«.
Auf dem Weg nach oben in unsere Wohnung pfeife ich Annie Lennox’ »Poison makes addicted« und bin zufrieden. Auch damit, dass Brix, Fabrice und ich heute ausnahmsweise freihaben, Montag unser Sauna-und-Kneipe-Tag ist und danach unser »Wochenende« beginnt, wie eigentlich jede Woche. Mit dem Unterschied, dass Lars, Sven, Brix, René, Fabrice und ich Dienstag um neun im »Little Add« zu einem gemütlichen Klönschnack verabredet sind. Scheint so, als hätte uns die Normalität wieder.
70
Brix
»Mendelssohn. – Oh, hallo. Ja, natürlich«, antworte ich auf die Frage Noras, ob wir denn schon ausgeschlafen hätten, als sie Dienstag Mittag um halb drei auf meinem Handy anruft.
»Ist dein Betthupferl auch schon fit, oder ruht er sich noch von den Anstrengungen des gestrigen Tages aus?«, fragt sie und meint damit Shahin, von dem sie noch immer keine gute Meinung hat. Sie scheint sein Ermitteln in der Stricherszene völlig falsch zu interpretieren, und das Erscheinungsbild meines Mannes provoziert sie offensichtlich jedes Mal – was sie mir auch durch ihre Stichelei fast jedes Mal, wenn wir uns sehen, zu verstehen gibt. Zum Glück bleibt es bei der Ironie, mit der sie jede Bewegung meines Mannes ad absurdum führt, denn sie hat akzeptiert, dass auch Shahin seine Qualitäten hat – auch wenn sie von völlig anderen Erwartungen ausgeht als ich.
Ich für
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