Obsession
der Schulbehörde, ein
kleiner, pummeliger Mann mit einem Stoppelbart. Er schilderte die Ausreden, die Sandra für Jacobs Abwesenheit in der Schule
vorgeschoben hatte: dass er krank sei, eine Erkältung oder Fieber habe. Dann berichtete er, dass er vor kurzem den Schrottplatz
aufgesucht und Jacob in einem Autowrack sitzen gesehen hatte, während sein Vater ganz in der Nähe mit einem Schneidbrenner
arbeitete.
«Er machte nicht den Eindruck, krank zu sein, und es gab keinen ersichtlichen Grund, warum er nicht am Unterricht teilnehmen
sollte. Als ich Mr. Cole fragte, warum sein Sohn nicht in der Schule sei, verweigerte er die Antwort.» Er warf Cole einen Blick zu. «Genauer gesagt,
reagierte er überhaupt nicht. Er fuhr mit seiner Arbeit fort, als wäre ich überhaupt nicht dort.»
Ben stellte sich Cole mit einem Schneidbrenner in der Hand vor und dachte, dass der Mann glimpflich davongekommen war.
Als Nächstes sprach eine Kinderpsychologin. Die Spezialistin für Autismus wies auf die Wichtigkeit eines speziellen Unterrichts
und des Kontaktes mit anderen Kindern hin. Einem autistischen Kind diese Möglichkeiten vorzuenthalten |353| sei «unverantwortlich», sagte sie. Dass sie es vermied, Cole bei ihren Ausführungen anzuschauen, sprach für sich.
Cole ließ alles über sich ergehen, als hätte es nichts mit ihm zu tun.
Der Sozialarbeiter aus Sandras früherem Wohnort hatte ein jungenhaftes Gesicht, das in sich zusammenfiel. Mit einem leichten
Stottern berichtete er, dass sie an dem Abend, als man ihre Tochter ins Krankenhaus brachte, betrunken gewesen war. Die Polizei
hatte die Sozialwohnung, in der sie mit ihrem Ehemann lebte, eigentlich nur gestürmt, weil sie ihn wegen Drogenvergehen verhaften
wollte, dabei aber das Mädchen dehydriert und halb verhungert, in ihrem eigenen Urin und Kot liegend, aufgefunden.
Sandra hielt den Kopf gesenkt, als er die Verletzungen beschrieb, die von den Ärzten entdeckt worden waren, die teilweise
verheilten Knochenbrüche, die inneren Quetschungen sowie den Schädelbruch.
«Der Vater gab zu, sie geschlagen zu haben», sagte der Sozialarbeiter. «Er habe es getan, um ihr den Mund zu stopfen. Er gab
seiner Frau die Schuld, aber nur weil sie das Kind nicht beruhigen konnte. In seinen Augen schien er nichts Unrechtes getan
zu haben. Drei Tage später ist das kleine Mädchen im Krankenhaus an Lungenentzündung gestorben. Wayne Carter wurde zu drei
Jahren wegen Totschlags und zu weiteren zwei Jahren wegen Drogenvergehen verurteilt. Mrs. Carter ...», er deutete mit dem Kopf auf Sandra, die ihre Augen mit der Hand abschirmte, «... wurde der Vernachlässigung ihrer Sorgepflicht für schuldig befunden, aber das Gericht war der Ansicht, dass sie von ihrem
Mann dominiert und bedroht worden ist. Sie wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Danach verlagerte sie ihren Wohnsitz
außerhalb des Zuständigkeitsbereiches unserer Behörde.»
|354| Er klappte die Akte zu. «Das ist alles.»
Sandra gab ein ersticktes Geräusch von sich. Ihre Schultern hoben sich, als sie ihr Gesicht bedeckte. Ben sah ihre abgekauten
Fingernägel. Er unterdrückte das Mitleid, das automatisch in ihm aufkam.
«Ist alles in Ordnung mit Ihnen?», fragte Rogers.
Sandra nickte, ohne den Kopf zu heben. Ihr Haar hüpfte auf und ab. Die dunklen Wurzeln sahen neben dem blondierten Rest traurig
und verletzlich aus.
«Würden Sie gerne eine Pause machen? Wir können ...»
«Bringen wir es einfach hinter uns.» Sandra rieb ihre Augen und senkte dann die Hände. Ihr Gesicht war rot und geschwollen.
Der Anwalt reichte ihr ein Taschentuch, das sie schweigend nahm.
Cole beobachtete sie gleichgültig und schaute dann weg. Es war, als hätte er sie nie zuvor gesehen.
Rogers wandte sich an Carlisle. «Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir die Sicht des Jugendamtes hören, Mr. Carlisle.»
Der Sozialarbeiter holte tief Luft. «Äh, ja, zunächst einmal sollte ich wohl darauf hinweisen, dass Mrs. Cole – oder Mrs. Carter, wie sie damals hieß – zwar versäumt hat, ihr Kind vor seinem Vater zu schützen, aber nicht direkt am Tod ihrer Tochter
beteiligt war. Und obwohl es natürlich bedauerlich ist, dass es Kommunikationsprobleme zwischen ...»
«Es gab keine Kommunikationsprobleme», unterbrach ihn der andere Sozialarbeiter ruhig. «Wir wurden nicht gefragt. Und es wäre
sowieso alles aus den Akten ersichtlich gewesen.»
«Dennoch würde ich
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