Obsession
dem Fotoredakteur des neuen
Magazins wieder, der anzunehmen schien, dass Ben nur dort war, um Aufträge zu ergattern, und ihm tatsächlich welche anbot.
Dann traf er einen anderen Fotografen, einen Bekannten, den er seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. In größerer
Runde kamen sie auf Zensur zu sprechen, und irgendwann steckte Ben mitten in einer Diskussion mit einem Autor, einem leidenschaftlichen
Mann mit Mundgeruch, über die Verantwortung des Künstlers. Er hatte Spaß dabei, bis der Autor ihn einen kommerziellen Fotografen
nannte, als wäre er dadurch eine Art fotografischer Prostituierter, dessen Ansichten wertlos waren. Ben wollte Einspruch erheben,
merkte aber, dass er es nicht konnte.
Der Mann hatte recht.
Keine seiner Arbeiten hatte eine dauerhafte Wirkung. Die Modefotografien waren gerade so lange von Bedeutung wie die Mode,
die sie zeigten, und seine Werbeaufnahmen konnten höchstens einen gewissen Kitschwert für sich beanspruchen. Er war gut in
dem, was er tat, aber was er tat, war nichts wert. Es war Wegwerfware. Und er hatte sich diese Arbeit ausgesucht.
Was machte das also aus ihm?
Er hatte schon lange aufgegeben, mehr als eine technische Kompetenz erreichen zu wollen, weil er der Meinung gewesen war,
dass jede Fotografie am Ende darauf hinauslief: ein Triumph der Form über den Inhalt, des handwerklichen Könnens über die
Kunst. Er fragte sich, ob die Beschränkung gar nicht an ihm lag, sondern der Kamera eigen war, aber das war nur eine Ausrede
dafür, dass er nichts zu sagen hatte. Und jetzt? Er wusste es nicht. Ihm fiel nichts ein, aber |348| die Erkenntnis, dass er sich nicht einmal mehr bemühte, versetzte ihm einen unerwarteten Verlustschmerz. Merkwürdigerweise
musste er an Cole denken, der bei seiner Suche nach einem System nicht müde wurde, verbeulte Metallteile immer wieder neu
anzuordnen.
Vielleicht ging es gar nicht so sehr darum,
was
man zu sagen hatte, sondern einfach darum, es zu sagen.
Mit einem Mal machten ihn die Drinks schläfrig. Er war kurz davor, betrunken zu werden, und das wollte er vermeiden. Er stellte
sein Glas ab. Der Autor redete noch immer angeregt auf ihn ein und betrachtete Bens Schweigen offenbar als Einverständnis.
Ben entschuldigte sich und ließ ihn allein. Er schaute sich im Raum nach Zoes roten Haaren um, aber bei der violetten Beleuchtung
konnte man keine Farben erkennen. Er gab auf und ging hinaus.
Draußen war es kalt und windig. Auf der Straße glitzerte der Raureif, als wäre das triste Pflaster mit unzähligen, winzigen
Leuchtdioden übersät. Schon konnte er den Gedanken, den er gerade noch gehabt hatte, nicht mehr fassen. Und als ein Taxi vor
ihm anhielt, vergaß er ihn ganz.
Auf der Rückbank des Taxis dachte er bereits daran, was am nächsten Morgen bei der Sitzung geschehen würde.
Sie fand im Hauptgebäude der für Cole zuständigen Gemeindeverwaltung statt. Der Raum sah aus wie ein anonymer Sitzungssaal,
in dem nur ein langer Tisch stand, der von Plastikstühlen umgeben war. Als Ben ankam, waren die meisten bereits besetzt. Carlisle
saß ihm gegenüber und sprach leise mit jemandem, von dem Usherwood sagte, er sei wahrscheinlich sein Amtsleiter. Neben den
beiden saß eine grauhaarige Frau vom Kinderschutz, die die Sitzung leiten sollte. Es waren noch weitere Leute im Raum, unter
anderem eine uniformierte |349| Polizistin von einer Kinderschutzeinheit, aber Ben kannte niemanden.
Die Einzigen, die fehlten, waren John und Sandra Cole.
Die grauhaarige Frau schaute auf ihre Uhr. «Ich nehme an, Mr. und Mrs. Cole sind benachrichtigt worden, um welche Zeit sie hier sein sollen?», fragte sie Carlisle.
Der Sozialarbeiter rutschte unruhig auf seinem Stuhl umher. «Ich habe gestern mit ihnen gesprochen. Sie ...»
Er verstummte, da die Tür aufging. Der Anwalt, der Cole schon zuvor vertreten hatte, eilte herein. Sein Gesicht war gerötet,
er machte einen nervösen Eindruck. «Entschuldigen Sie die Verspätung», sagte er. «Wir sind, äh, etwas aufgehalten worden.»
Er gab keine weitere Erklärung ab, und niemand fragte, als zuerst Sandra und dann John Cole eintrat. Sandra schaute keinen
der Anwesenden an, als sie neben dem Anwalt Platz nahm. Sie war – für ihre Verhältnisse – konservativ mit einem langärmeligen
Pullover und einem bis zu den Knien reichenden Rock gekleidet. Cole trug den gleichen zerknitterten Anzug, den Ben bereits
an ihm gesehen hatte. Er schaute
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